Geliebte des Feuers
fragte Miri. »Warum ist die Jade so wichtig für dich? Oder für alle anderen, die nach ihr suchen?«
»Träume und Wünsche, Dr. Lee. Wir alle erträumen und wünschen uns eine Welt, wie sie sein sollte. Würdest du deine Existenz nicht neu erschaffen, wenn du das könntest? Andere Eltern, die Nacht verändern, in der du starbst? Die Realität so gestalten, dass du deine Liebe niemals verloren hättest und ihr glücklich und zufrieden miteinander leben würdet? Würdest du dir das versagen?«
»Ja«, hauchte Miri. »O ja, das würde ich tun.«
Sie bemerkte einen Anflug von Zweifel in Lysanders Augen, der seinen Blick wie ein Schatten verdunkelte, und einen Moment lang spürte sie diese andere Präsenz, eine zweite, gefesselte Seele in dem Drachen. Diese Empfindung war ihr auf eine Art vertraut, die sie nicht erklären konnte, fast war es ein Dejä-vu, aber eben nicht ganz. Es war, als würde sie sich daran erinnern, durch andere
Augen auf die Welt geblickt zu haben, durch Augen, die man ihr genommen hatte.
Das Gefühl verblasste. »Sag mir, warum«, forderte Lysander sie auf.
Sag mir, warum, hörte sie eine Stimme in ihrem Kopf. Sag mir, warum ich besessen bin, warum ich Besitz von anderen ergreife, sag mir, warum, warum, warum. Warum diese Welt, warum ich, warum jetzt, warum dieses Leben, in das ich die Dunkelheit eingelassen habe? Warum habe ich diese Entscheidung getroffen?
Miri schloss die Augen, versuchte die Stimme auszublenden, die ihre eigene sein mochte oder die von jemand anders, eine Stimme, die zu hören sie nicht ertragen konnte. »Weil jedes Leben«, antwortete sie, »nur eine Chance hat. Du kannst, du darfst nicht zurückgehen und deine Irrtümer korrigieren. Der Sinn der Fehler ist es doch schließlich, daraus zu lernen. Der Sinn des Lebens ist es, das Beste aus dem zu machen, was man hat, und die Person zu lieben, die es führt. Aber wenn du dir einen Ausweg lässt, wenn du die Zeit zurückdrehst, dann wird all das, was du warst und bist, bedeutungslos. Wir sind nicht von unserer Vergangenheit zu trennen. Wir sind keine Marionetten, die benutzt, neu geschaffen und schließlich abgelegt werden. Jedes Leben bedeutet etwas, du Hundesohn, und wenn dir die Welt nicht gefällt, wie sie ist, dann such einen anderen Weg, sie zu verändern, einen, bei dem du dich nicht uns anderen aufzwingen musst.«
Lysander schwieg und betrachtete sie lange. Dann hob er langsam, fast behutsam seine Klaue, mit der Fläche nach außen. Hitze schlug über Miri zusammen, große Hitze, und ihr Gefühl sagte ihr, dass das, was jetzt gleich passieren würde, gar nicht gut war.
Doch plötzlich zuckte der Drache zusammen, wirbelte herum. Noch während er sich bewegte, hörte Miri eine Stimme, die ihren Namen rief. Sie presste sich flach auf den Boden. Ein Schuss krachte. Der Drache rollte sich zur Seite, und sein gewaltiger Schwanz peitschte durch die Luft.
Als er sich bewegte, sah Miri eine schlanke, drahtige Gestalt, deren vertraute Silhouette sich gegen die Skyline der Stadt abhob. Wunder ereignen sich, und ich sehe sie. Große Wunder sprechen zu uns, und ich lausche ihnen.
Sie sah Dean an und glaubte aus tiefstem Herzen an Magie.
Als Dean zusehen musste, wie der Gestaltwandler Miri wegschleppte, ging etwas mit ihm vor; er überschritt eine Grenze in seinem Herzen. Er wusste nicht, was das bedeutete, spürte nur, dass sich etwas in ihm veränderte, unter seiner Haut, als würde etwas neu arrangiert werden. Wäre er nicht so fest davon überzeugt gewesen, ein Mensch zu sein, er hätte sich fast vorstellen können, selbst ein Gestaltwandler zu werden. Denn er fühlte sich seltsam verwandelt.
In seinem Kopf, in seinem Herzen veränderte sich alles, er sah, wie die Welt zusammenbrach, sich in wilde Energiestränge verwandelte. Und er streckte die Hände aus, weit aus, und begann diese Stränge einzusammeln. Er dachte nicht, plante nicht. Sein einziger Gedanke galt Miri.
Koni lief zur Schranktür und öffnete sie. Die Kleidung war weggerissen worden; der Schrank war leer. Der Gestaltwandler stürmte durch die Öffnung und verschwand; dann hörte Dean einen Schrei. Einen Moment später tauchte Koni wieder auf. Er hielt den roten Jadestein in der Hand und redete los. Dean sagte kein Wort. Koni trat zu ihm, schüttelte ihn, aber es war nutzlos, denn Deans Körper funktionierte nicht richtig. Vielleicht funktionierte er aber auch einfach nur zu gut. Er hörte Koni jedenfalls kaum; die Stimme des Gestaltwandlers kam ihm
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