Geliebte des Schattens - Kenyon, S: Geliebte des Schattens - Seize the Night (Dark Hunter 07)
wie Erleichterung, nach über zweitausend Jahren endlich jemandem die Wahrheit darüber erzählen zu dürfen, wie er zum Dark Hunter geworden war.
Er nickte und schob entschlossen die Erinnerung an
jene Nacht beiseite. Als er fortfuhr, klang seine Stimme erstaunlich ruhig. »Ich war ein Schandfleck für die Familie, deshalb haben sie mich exekutiert.«
»Exekutiert? Wie?«
Der Ausdruck in seinen Augen war kalt. »Du als einstige Stipendiatin weißt doch bestimmt, wie die Römer mit ihren Feinden umgesprungen sind.«
Tabitha schlug sich die Hand vor den Mund, während sie eine Woge der Übelkeit überkam. Unwillkürlich streckte sie die Hand aus und zog den Ärmel seines Jacketts hoch, um die Narbe an seinem Handgelenk zu enthüllen. Sie war Beweis genug.
Ebenso wie Kyrian war auch er ans Kreuz genagelt worden.
»Es tut mir so leid.«
Steif und förmlich befreite er sich aus ihrem Griff und strich seinen Ärmel glatt. »Das muss es nicht. Wenn man die Geschichte meiner Familie bedenkt, ist es sogar durchaus angemessen. Denn wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen , wie es so schön heißt.«
»Wie viele Menschen hast du gekreuzigt?«
Sie spürte die Scham in ihm aufflackern, ehe er sich abwandte und davonging. Doch sie folgte ihm und hielt ihn auf. »Sag es mir, Valerius. Ich will es wissen.«
Seine Züge verzerrten sich, und ein Muskel zuckte an seinem Kiefer. »Keinen«, antwortete er nach einer langen Pause. »Ich habe mich geweigert, auch nur einen Mann auf diese Weise zu töten.«
Tränen stiegen ihr in die Augen.
Er war nicht so, wie Kyrian und all die anderen glaubten. Er war anders.
Der Mann, den sie beschrieben, hätte keine Sekunde
gezögert, einen anderen Menschen zu demütigen oder zu töten. Doch Valerius hatte genau das getan.
Er räusperte sich. Die Worte schienen ihm unendlich schwerzufallen. »Als ich noch ein Junge war, habe ich gesehen, wie ein Mann exekutiert wurde. Er war einer der bedeutendsten Generäle seiner Zeit.«
Tabithas Herzschlag setzte einen Moment aus, als ihr dämmerte, dass er von Kyrian sprach.
»Mein Großvater hat ihn in eine Falle gelockt und ihn dann über Wochen verhört.« Sein Atem ging schwer, jeder Muskel seines Körpers war angespannt. »Mein Vater und mein Großvater haben darauf bestanden, dass meine Brüder und ich mitkommen und es uns ansehen. Sie wollten, dass wir sehen, wie man den Willen eines Mannes bricht. Wie man ihm seine Würde nimmt, bis er nichts mehr als eine leere Hülle ist. Aber ich habe nur all das Blut gesehen, das Leid. Niemand sollte auf diese Weise leiden müssen. Ich habe in die Augen dieses Mannes gesehen und seine Seele erkannt. Seine Kraft. Seinen Schmerz. Ich wollte weglaufen, aber sie haben mich geschnappt und gezwungen, weiter zuzusehen.«
Er starrte sie eindringlich und gequält an. »Dafür habe ich sie gehasst. Seitdem sind zweitausend Jahre vergangen, und immer noch höre ich seine Schreie, als sie den einst so stolzen Prinzen hochgehoben und auf den Hauptplatz getragen haben, um ihn wie einen gewöhnlichen Verbrecher sterben zu lassen.«
Tabitha presste sich die Hände auf die Ohren, während sie sich ausmalte, wie es für Kyrian gewesen sein musste, auf diese grausame Art zu sterben. Von ihrer Schwester wusste sie, dass sein Tod ihn bis zum heutigen Tage verfolgte. Obwohl die Häufigkeit von Kyrians Albträumen
seit seiner Hochzeit mit Amanda nachgelassen hatte, litt er noch immer darunter. Er schreckte mitten in der Nacht aus dem Schlaf und musste sich vergewissern, dass seine Frau und seine Tochter in Sicherheit waren.
In manchen Nächten schlief er überhaupt nicht, aus Angst, jemand könnte kommen und sie ihm wegnehmen.
Und er hasste Valerius aus der Tiefe seiner Seele.
Beim Anblick von Tabithas gequälter Miene holte Valerius tief Luft. Auch er litt, wenn auch nicht so offenkundig wie sie.
Die Schuld und die Gräuel seiner Kindheit hatten sich in sein Herz eingebrannt. Könnte er die Zeit zurückdrehen, würde er seine Seele kein zweites Mal an Artemis verkaufen. Es war besser, einfach zu sterben und damit den Nachhall der Grausamkeit seines Vaters zum Schweigen zu bringen, als mit dem Widerhall ihrer Stimmen für immer weiterleben zu müssen.
Bestimmt würde Tabitha ihn jetzt hassen, genauso wie die anderen. Sie hatte jedes Recht dazu. Was seine Familie getan hatte, war unentschuldbar. Genau deshalb hatte er alles daran gesetzt, Kyrian und Julian aus dem Weg zu gehen.
Es gab keinen Grund, die
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