Geliebte Feindin
habe nie aufgehört, deiner Mutter zu schreiben, das solltest du wissen. Ich gestehe ihr ja zu, daß vielleicht ein oder zwei meiner Briefe verlorengegangen sein könnten, aber niemals sind alle sechs nicht angekommen. Nein, Liebes, sie hat dich angelogen, um dich aus England fortzuschaffen.« »Mutter würde bei so etwas nie mitmachen!« »Selbstverständlich würde sie«, erwiderte Nora traurig. »Meine arme Schwester hat Angst vor ihrem Mann. Schon immer hat sie ihn gefürchtet, und sie wird es auch in Zukunft tun. Wir beide wissen es, Sara, und es ist zwecklos, daß wir uns etwas vormachen. Hör auf zu träumen, Kind. Wenn Winston deiner Mutter aufträgt, jemanden zu täuschen, dann tut sie es. Aber wir wollten jetzt nicht über deine Eltern reden«, fügte Nora rasch hinzu, bevor Sara erneut Einwände erheben konnte. »Ich möchte dir eine Frage stellen.«
»Welche Frage?«
»Möchtest du mit Nathan verheiratet sein?«
»Es spielt doch gar keine Rolle, was ich möchte.«
»Möchtest du, oder möchtest du nicht?«
»Ich habe niemals auch nur daran gedacht, daß ich zu einem anderen gehören könnte«, entgegnete Sara zögernd. »Ich weiß nur nicht genau, was ich empfinde, Nora. Ich verabscheue die Vorstellung, daß er eine andere Frau haben könnte, aber das habe ich erst gemerkt, als er eine Anspielung auf eine mögliche Geliebte gemacht hat. Ich habe so heftig reagiert, daß ich mich selbst nicht mehr verstanden habe. Es ist alles so verwirrend.«
»Die Liebe macht einen immer konfus, Kind.«
»Ich rede doch nicht von Liebe«, protestierte Sara. »Das Schlimmste ist nur, daß ich von Kindesbeinen an dazu erzögen wurde, ihn als meinen Ehemann anzusehen.«
Nora schnaubte unfein. »Du bist dazu erzogen worden, ihn zu hassen. Sie wollten aus dir genau so eine kleine Bestie machen wie aus Belinda, aber sie hatten keinen Erfolg, wie? Du haßt Nathan ganz und gar nicht?«
»Nein, ich hasse überhaupt niemanden.«
»All die Jahre hast du ihn in deinem Herzen bewahrt und ihn im stillen verteidigt, Sara, genauso wie du deine Mutter immer verteidigt hast, wenn du konntest. Du hast dir zwar die ganzen Verleumdungen über Nathan angehört, aber sie haben deine Einstellung zu ihm nicht ändern können.«
»Sie waren überzeugt, daß ich ihn verabscheue«, gestand Nora. »Ich habe immer so getan, als wäre ich einer Meinung mit ihnen, damit sie mich in Ruhe lassen. Onkel Henry war der Schlimmste, aber jetzt kennt er die Wahrheit. Als ich ihm in dieser Spelunke gegenüberstand und deinen Ehering an seinem kleinen Finger sah, war ich so wütend. Ich habe ihm damit gedroht, daß ihm Nathan seine Sünden vergelten würde, und außerdem habe ich so getan, als würden Nathan und ich schon seit langem im besten Einvernehmen sein.«
»Das war vielleicht nicht einmal eine echte Lüge«, sagte Nora. »Ich glaube, daß Nathan sogar Rache üben würde, wenn jemand Hand an mich legt. Und weißt du auch, warum er das tun würde?«
»Weil er dich für eine liebe und aufrichtige Frau hält«, mutmaßte Sara.
Nora verdrehte die Augen. »Nein, Liebes, ich bezweifle, daß er dergleichen überhaupt bemerken würde. Er gibt nur acht auf mich, weil er weiß, wie sehr du an mir hängst. Nathan gehört zu der Sorte von Männern, die alle Menschen, die zu ihnen gehören, beschützen.«
»Aber, Nora …«
»Ich möchte dir nur klarmachen, daß er alles tun würde, um dich vor Schaden zu bewahren.«
»Du bist eine Träumerin, Nora.«
Das Gespräch wurde jäh unterbrochen, als Matthew die Kajüte betrat. Er schenkte Nora ein breites Lächeln und wedelte mit der Hand. »Ihr solltet Euch jetzt ausruhen«, sagte er.
Sara gab ihrer Tante einen Gutenachtkuß und ging zu ihrer Kajüte, in der schon die Badewanne bereit stand. Sie räkelte sich in der Wanne, bis das Wasser kalt wurde, dann zog sie ihr weißes Nachhemd und den dazu passenden Morgenrock an und setzte sich aufs Bett, um sich das Haar zu bürsten. So fand Nathan sie vor, als er in die Kajüte kam.
Zwei jüngere Männer folgten ihm; sie nickten Sara zu, bevor sie die Badewanne hochhoben und wegbrachten. Sara hielt sich schamhaft den Morgenrock zu, bis sie den Raum verlassen hatten und fuhr dann fort, sich mit ihrem Haar zu beschäftigen.
Nathan schloß die Tür und verriegelte sie. Er sprach kein einziges Wort, und das war auch nicht nötig. Ein Blick in sein Gesicht sagte Sara alles, was sie wissen mußte. Dieser Mann war wild entschlossen und bestimmt nicht mehr bereit, ihr
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