Geliebte Feindin
schreckliche Möglichkeit gefaßt machen, daß der Feind das Schiff eingenommen haben könnte. Sara gab ihrer Tante ein Zeichen, sich in eine Ecke zu drücken, und blies die Kerze aus. Dann tastete sie sich zur Treppe und wartete auf die Gelegenheit, sich auf den Feind zu stürzen. Sie fürchtete sich zu Tode, aber das konnte sie nicht aufhalten, und ihre Hauptsorge galt Nathan. Wenn die Piraten das Schiff geentert hatten – war ihr Mann dann noch am Leben? Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihn in einer riesigen Blutlache liegen, aber sie zwang sich, nicht an so schreckliche Dinge zu denken. Sie konnte ihrem Mann nicht helfen, wenn sie ihrer Phantasie freien Lauf ließ.
Durch die geöffnete Luke fiel fahles Licht, und Sara konnte zwei Männer mit hellen Kopftüchern erkennen. Der erste ging an der Luke vorbei, aber der zweite nicht. Er fluchte laut, als er durch die Öffnung fiel und die Treppe hinunterpolterte. Er landete genau zwischen zwei Balken und strampelte mit den Beinen in der Luft herum, während seine Arme und sein Oberkörper in dem Spalt eingeklemmt waren.
»Was zur Hölle ist passiert?« knurrte der erste Mann, drehte sich um und schaute durch die Luke. »Du hast dich wohl selbst in eine Falle bugsiert, wie?« kicherte er, als er seinen Freund zappeln sah. Er kam die Treppe herunter, um ihn zu befreien und den einen Balken zur Seite zu schieben, hielt aber inne, als eine leichte Brise sein Gesicht streifte.
Der Feind machte Anstalten, sich umzudrehen. Sara reagierte blitzschnell und zog ihm den Kolben der Pistole über den Schädel. Sie entschuldigte sich pflichtschuldig, als der Mann auf dem Boden zusammenbrach.
Er hatte nicht einmal geschrien, dafür schrie sie um so lauter. Aber als sie sah, daß er noch atmete, beruhigte sie sich. Sie hob ihren Rocksaum ein wenig an und hüpfte mit einem graziösen Sprung über den bewußtlosen Mann, um zu ihrem zweiten Opfer zu gelangen.
Der häßliche Kerl schielte sie erstaunt an, und das ersparte ihm einiges. Wenn er sie nicht so angestarrt hätte, wäre sie vermutlich in der Lage gewesen, ihn mit einem Hieb auszuschalten, aber so hatte sie nicht das Herz dazu. Außerdem saß der Schurke schön in einer Klemme, aus der er sich nicht allein befreien konnte. Seine mißliche Lage erregte ihr Mitleid, und deshalb riß sie nur einen Streifen von ihrem Unterrock ab, knüllte den Stoff zusammen und stopfte ihn dem Piraten in den Mund, damit er nicht um Hilfe schreien konnte. Nora eilte herbei und half ihr, seine Füße zu fesseln. Nora machte den Eindruck, als ob sie sehr zufrieden wäre, weil sie den Feind unschädlich gemacht hatten, und Sara hatte den Verdacht, daß ihre Tante den Ernst der Lage nicht richtig begriff. Wenn die beiden Kerle schon bis zum Munitionslager vorgedrungen waren, dann befanden sich bestimmt noch andere Piraten an Bord.
»Schau, Liebes, dort sind Seile. Sollte ich den anderen Gentleman nicht lieber auch fesseln?« fragte Nora.
Sara nickte. »Ja, das ist eine glänzende Idee. Er könnte jeden Moment zu sich kommen. Du kannst ihm auch einen Knebel in den Mund stecken. Mein Unterrock ist ohnehin schon ruiniert.«
Sara riß noch einen Streifen ab und reichte ihn ihrer Tante. Dann versuchte sie, Nora eine der Pistolen in die Hand zu drücken, aber die alte Dame lehnte ab.
»Du könntest beide Pistolen brauchen, wenn du Nathan und Matthew retten willst, Liebes.«
»Du solltest mir nicht zuviel zutrauen, Nora«, flüsterte Sara. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt jemanden retten kann.«
»Mach dich auf den Weg«, befahl Nora. »Du hast das Überraschungsmoment auf deiner Seite, Sara. Ich warte hier, bis du die Angelegenheit geregelt hast.«
Sara hätte ihre Tante gern zum Abschied umarmt, aber sie fürchtete, daß sich bei einer ungeschickten Bewegung ein Schuß aus einer der Pistolen lösen könnte.
Sara betete zu allen Heiligen, während sie zu dem Korridor ging, an dem sich die Kajüten befanden. Sie spähte gerade durch ihre Kajütentür, als sie Schritte auf der Treppe und Männerstimmen hörte. Sie huschte in die Messe und drückte sich in die Ecke hinter der zusammengefalteten Trennwand.
Jimbo stolperte als erster die Treppe herunter. Sara konnte ihn durch ein Loch in der Trennwand genau sehen. Ein großer Schnitt zog sich über seine Stirn, und sein Gesicht war blutüberströmt. Er konnte sich das Blut nicht einmal abwischen, da seine Hände auf dem Rücken gefesselt waren. Drei Piraten waren bei ihm.
Als Sara die
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