Geliebte Gefangene
öffnete, drehte er sich um. Kaum wurde ihm klar, dass sie dabei war zu fliehen, ließ er die Peitsche auf die Rücken der Pferde fallen, die sofort mit aller Kraft anzogen.
„Halt an, du erbärmlicher Feigling!“, schrie Sophie wütend hinter ihm her, als die Kutsche ratternd auf und davon fuhr. Sie war nicht nur erbost, dass er sie im Stich ließ, sondern weil er sich auch mit ihren zwei Koffern voll Kleidern, Büchern und anderen Habseligkeiten aus dem Staub machte. „Halt sofort an, du … du … oh! “
Plötzlich ragte vor ihr auf der Straße die drohende schwarze Silhouette des Reiters im hellen Mondlicht auf. Der Mann war groß, kräftig gebaut und wirkte auf dem leicht tänzelnden Pferd und in dem dunklen Umhang, der sich um seine Schultern blähte, noch größer.
Was dieses Mannsbild sich aufplustert, stellte Sophie unbeeindruckt fest. Er versuchte doch tatsächlich, eine einsame Frau auf einer verlassenen Landstraße einzuschüchtern! Da hatte sie Fünfjährige mit besseren Manieren gekannt – zumindest, wenn sie zuvor ihre Gouvernante gewesen war.
„Bleiben Sie stehen, und ergeben Sie sich“, befahl er durch das dunkle Tuch, das er sich um den unteren Teil des Gesichts gebunden hatte, wodurch seine Stimme einen besonders wirkungsvoll grollenden Klang erhielt. „Nun, Miss, machen Sie schon.“
„Nein, das werde ich nicht tun“, antwortete sie gereizt und verschränkte die Arme vor der Brust. So stand sie auf dem Straßendamm und bot ihm die Stirn. Schließlich war er es doch, der sich eigentlich in Acht nehmen sollte, nicht sie. Wegen ihm würde sie jetzt zu spät bei Sir William eintreffen, und sie hasste es, irgendwo zu spät zu kommen. Sie war müde und hungrig, fror, und nachdem sie hatte zusehen müssen, wie der größte Teil ihrer weltlichen Habe rumpelnd in der Dunkelheit verschwunden war und wahrscheinlich nie mehr auftauchen würde, war sie auch noch äußerst schlecht gelaunt. Oh ja, besser, er nahm sich vor ihr in Acht!
„Ich werde ganz gewiss nicht stehen bleiben und mich ergeben. Denn erstens stehe ich schon“, fuhr sie fort, „und zweitens gehorche ich solch großen, ungeschlachten Kerlen nicht, nur weil sie sagen, ich müsste es.“
Ohne eine Antwort drehte er sich im Sattel leicht zur Seite, sodass sie den langen Lauf der Pistole in seiner Hand sehen konnte, der im Mondlicht glänzte. Sie bemerkte aber auch, dass er den Hahn der Waffe nicht gespannt hatte. Sophie war auf dem Land aufgewachsen und dank Harry wusste sie alles über Schusswaffen – anscheinend mehr, als diese bedauernswerte Witzfigur von einem Straßenräuber. Er ähnelte eher einem zu groß geratenen Wachhund, dem allerdings die Zähne fehlten.
Nichts als Gebell und Aufgeblasenheit, aber kein Biss.
„Geben Sie Ihr Geld her“, befahl er schroff. „Mehr will ich nicht. Damit ich es den Armen geben kann.“
„Den Armen?“ , wiederholte sie ungläubig. „Und Sie erwarten, dass ich Ihnen das glaube?“
„Das sollten Sie, denn es ist wahr“, sagte er, als müsste er sich verteidigen. „Geben Sie mir Ihre Börse, und Sie werden frei sein und gehen können, wohin Sie wollen.“
„Oh, verflixt und zugenäht“, schimpfte sie ärgerlich. „Wir sind hier in England. Und wenn es mir beliebt, kann ich jetzt schon gehen, auf der Stelle, und zwar mit meiner Geldbörse. “
„Warten Sie“, sagte er leise. „Bitte.“
Zu ihrer eigenen Überraschung tat sie, wie ihr geheißen. Sie hätte nicht sagen können, was da in seiner Stimme war, das sie innehalten ließ, doch sie wartete nun, wie er es von ihr verlangte.
„Nehmen Sie den Hut ab“, sagte er mit derselben weichen Stimme, die seltsamerweise viel stärker als all seine vorherigen Drohungen auf sie gewirkt hatte. „Lassen Sie mich Ihr Gesicht sehen.“
Sofort kehrte ihr Argwohn zurück. „Warum? Damit Sie sich selbst davon überzeugen können, dass ich so unscheinbar bin, wie dieser abscheuliche Kutscher behauptet hat?“
„Bitte“, wiederholte er. „Um verflixt und zugenäht willen. “
„ Verflixt und zugenäht. “ Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen und verstand nicht, warum er mit einem Mal ihre eigenen unsinnigen Worte zitierte. Doch wieder ertappte sie sich dabei, wie sie gehorchte, die breiten Bänder ihrer Schute aufknüpfte und den Hut abnahm. Sie schämte sich nicht wegen ihres Gesichts, so reizlos es inzwischen auch sein mochte, sondern hob das Kinn zum Mondlicht hin, damit er ihr Gesicht genau sehen
Weitere Kostenlose Bücher