Geliebte Gefangene
„Was wir einmal waren, spielt jetzt keine Rolle mehr.“
„Verdammt, Sophie, das tut es immer noch!“ Der Zorn ließ seine Stimme rau klingen. Erneut griff er nach ihr, doch wieder entzog sie sich ihm heftig, sodass ihre schweren, wollenen Röcke wie eine Glocke um ihre Beine schwangen. „Wieso willst du es nicht zugeben?“
„Aus demselben Grund, aus dem ich dich damals verlassen habe“, erwiderte sie. Sie stieß die Worte so gequält hervor, dass es fast schon einem Schluchzen glich. „Weil ich gut im Rechnen und in der Logik bin, und weil ich erkennen kann, welche Dinge zum Erfolg führen können und welche nicht. Weil wir zwei nie füreinander bestimmt waren, und alles Mondlicht dieser traurigen Welt kann an dieser Wahrheit nichts ändern.“
„Und wenn ich dir sage, dass du mir immer noch etwas bedeutest?“, fragte er. „Mond hin oder her, das ist die Wahrheit.“
Doch sie schüttelte nur wieder den Kopf. „Du hättest mich vergessen sollen, so wie ich dich vergessen habe.“
„Aber das hast du nicht, Sophie“, beharrte er. „Ich muss dir doch nur in die Augen sehen, um das zu wissen. Wieso kannst du nicht zugeben, dass ich dir immer noch etwas bedeute, wo ich doch weiß, dass dem so ist? Wieso nehmen wir diese Nacht nicht als Geschenk an und lassen alles andere bis morgen warten?“
„Weil ich es nicht will, Harry“, flüsterte sie, und ihrer Brust entrang sich ein langes, herzzerreißendes Schluchzen. „Ich kann nicht. Noch nicht einmal du kannst mich dazu bringen. Denn du wirst immer der Earl of Atherwall sein und ich nie mehr als eine einfache Gouvernante. Wir passen nicht zueinander.“
Noch bevor er darauf eine Antwort finden konnte, sah er voller Schreck, wie sie sich vor seinen Augen veränderte. Dort, auf der vom Mondlicht beschienenen Straße unterdrückte sie ihr Schluchzen und kämpfte sichtlich um ihre Fassung. Sie blinzelte die Tränen fort, und ein Ausdruck strenger Zurückhaltung legte sich auf ihr Gesicht. Durch reine Willenskraft rückte sie die Dinge wieder an ihren rechten Platz. Entschlossen band sie die Hutbänder unter dem Kinn zusammen, nutzte den breiten Rand dazu, ihr Gesicht zu verdecken, und die Verwandlung war perfekt. Es hatte kaum eine Minute gedauert, und sie hatte ihre Schönheit wie auch ihre Gefühle so sicher verborgen, als hätte sie sie hinter einer undurchdringlichen Maske versteckt. Sie wurde genau das, was der Kutscher von ihr behauptet hatte: eine arme, unscheinbare Gouvernante, der kein Mann je Aufmerksamkeit schenken würde.
„Verstehen Sie, Mylord?“, sagte sie. Selbst in ihrer Stimme schien jetzt die Schulzimmerautorität einer Gouvernante mitzuschwingen. Wobei der Gebrauch seines Titels – nie hätte er geglaubt, ihn aus ihrem Mund zu hören – dazu diente, den Graben zwischen ihnen noch zu betonen. „Habe ich mich klar ausgedrückt, Mylord?“
Er nickte schweigend. Ihm hatte es die Sprache verschlagen, und er fand keine Worte – zumindest nicht die Worte, die er ihr gegenüber gerne gebraucht hätte.
Wie, zum Teufel, konnte sie nur glauben, es kümmere ihn auch nur einen Deut, dass er dem Rang nach über ihr stand? Wie konnte sie nur so etwas annehmen, wo doch sie es war, die eine Wand aus grober Wolle und Anständigkeit zwischen ihnen aufbaute, so undurchdringlich wie eine aus Stein und Mörtel?
Aber da stand sie nun und wollte ihm weismachen, dass er sie überhaupt nicht mehr interessierte, dass sie ihr Leben als einsame Gouvernante alldem vorzog, was er ihr zu bieten hatte. Wenn sie wirklich hätte frei sein wollen von ihm, hätte er sie natürlich gehen lassen. Noch nie hatte er eine Frau gezwungen, etwas gegen ihren Willen zu tun, und er würde auch jetzt nicht damit anfangen.
Doch es gab die Erinnerung an die andere Sophie, an das lachende, wagemutige, abenteuerlustige Mädchen, das er voller Leidenschaft und Freude geliebt hatte – diese Sophie würde ihn nicht gehen lassen. Weiß Gott, ein paar Mal hatte er heute Nacht einen flüchtigen Blick auf sie erhaschen können. Hinter der strengen Fassade hatte ihr früheres Wesen wie kleine, helle Blitze aufgezuckt, die bewiesen, dass es immer noch existierte.
Nur noch eine Nacht mit ihr, das war alles, was er wollte. Noch eine Nacht zusammen mit ihr …
Sie behauptete, nicht an das Schicksal zu glauben und stolz selbst ihr Leben zu bestimmen. Nun gut, dann sollte es so sein. Sollte sie doch eigensinnig sein, und stolz. Er würde nicht mit ihr streiten, denn auch das war ein
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