Geliebte Gefangene
befand, inmitten ihrer Röcke auf dem Kutschboden zu sitzen. Verschlafen und ein wenig unbeholfen richtete sie sich auf und rückte den Hut zurecht, der ihr über das Gesicht gerutscht war. Nicht schon wieder ein Rad bruch, dachte sie erschrocken, während sie versuchte, ihre Beine von den Röcken zu befreien. Wenn das so weiterging, würden sie Winchester nie erreichen.
Doch dann hörte sie die Stimme des Fremden und erstarrte.
„Hände hoch, damit ich sie sehen kann“, befahl er dem Kutscher. Seine Stimme klang gedämpft, als würde er durch eine Maske oder ein Tuch sprechen. „Keine Dummheiten, oder du wirst dafür büßen.“
Sophies Herz schlug wild, während sie reglos verharrte, um nicht die Aufmerksamkeit des Fremden auf sich zu ziehen. Durch das Kutschenfenster konnte sie erkennen, dass sie im tiefen Schatten von Bäumen angehalten worden waren, deren Zweige sich als schwarzes Gewirr gegen den Himmel abzeichneten. Jetzt war sie auch noch in den Hinterhalt einiger gemeiner Diebe geraten, gefangen wie ein tapsiges Küken vom Fuchs. Beim Gedanken an diese Demütigung flammte in Sophie Zorn auf. War auf dieser entsetzlichen Reise nicht schon genug passiert?
„Verdammter diebischer Feigling“, knurrte der Kutscher. „Da hast du die falsche Kutsche überfallen, das kann man wohl sagen.“
„Wieso, weil ein so tapferer Bursche wie du die Zügel hält?“, fragte der andere Mann. Er klang amüsiert.
„Nein, weil ich da drin nur einen Passagier habe“, entgegnete der Kutscher trotzig. „Und der ist nicht das, was ein Bastard wie du sich wünscht. Wirklich nicht.“
Der Mann lachte, und Sophie kochte vor Wut über diese Demütigung. Auch wenn der Dieb bewusst seine Stimme verstellte, war Sophie sich wegen seiner unerschrockenen Haltung und seiner Worte sicher, dass er aus gutem Hause kam und es gewohnt war, dass man ihm gehorchte. Aber was für ein Gentleman würde zum Räuber werden und nachts auf der Landstraße Kutschen anhalten? Welcher Kavalier würde sich an der Verzweiflung einer allein reisenden Frau ergötzen, über ihre Notlage lachen, so wie dieser hier es jetzt tat?
„Dann möchtest du wohl bei dieser Dame den ritterlichen Helden spielen, was?“, fragte er den Kutscher. „Du würdest sie verteidigen?“
„Nein, das werde ic h bestimmt nicht tun“, antwortete der Kutscher schnell und ohne einen Funken Ritterlichkeit – die Sophie bei ihm auch nicht erwartet hätte. „Das ist so eine Unscheinba re, arm und scharfzüngig noch dazu. Wenn’s nicht darum ginge, was ihr Herr wohl sagt, wenn mir seine neue Gouvernante verloren geht, ich würde sie dir auf der Stelle übergeben und lieber das Pferd retten.“
„Eine unscheinbare, arme Gouvernante.“ Aus der Stimme des Straßenräubers war deutlich die Enttäuschung herauszuhören. Sophie zog die Nase kraus. Er war gerade der Richtige, sich so verächtlich über ihre Stellung zu äußern, wenn man bedachte, wie unehrenhaft er sich seinen Lebensunterhalt verdiente! „Nun, es wird wohl besser sein, ich bilde mir ein eigenes Urteil, nicht wahr?“, fügte der Fremde hinzu.
Sophie konnte hören, wie er näher kam, während sein Pferd schnaubte und das Zaumzeug klirrte. Von ihr mochte der Mann enttäuscht sein, doch für ihren Geldbeutel würde er sich immer noch interessieren. Dieser Geldbeutel, der mit ihren hart verdienten Münzen gefüllt war, die sie auf keinen Fall einem faulen Gauner wie ihm überlassen wollte.
Denk nach, Sophie, denk nach! Sitz hier nicht herum wie ein hilfloser Kohlkopf, der darauf wartet, dass man Eintopf aus ihm macht. Jetzt zeig einmal ein wenig Rückgrat. Überlege, wie du dich retten kannst, und dann tu es!
Sie wusste, dass er mit seinem Pferd nicht auf der Seite der Kutsche stand, in der sie saß. Schnell entriegelte Sophie die Tür, stieß sie auf und kletterte hinaus. Bei dem hellen Mondlicht musste sie so lange wie möglich die Kutsche als Schutz zwischen sich und dem Mann nutzen. Hastig raffte sie die Röcke, um besser laufen zu können, und begann, immer wieder auf der feuchten Erde ausrutschend, den Straßendamm hinaufzuklettern. Sie musste nur das Gebüsch erreichen, dann könnte sie sich dort im Schatten verstecken, bis der Räuber das Interesse verlieren und davonreiten würde. Er war doch ohnehin schon enttäuscht gewesen, weil sie arm war. Wie viel Zeit würde er dann noch an sie verschwenden wollen?
Doch sie hatte nicht mit ihrem feigen Kutscher gerechnet. Als er hörte, wie sie die Tür
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