Geliebte Gefangene
leuchten.
„Ich schloss meine Augen. Das war der einzige Schutz, der mir blieb.“ Er blinzelte schnell. „Aber dann kam sie . Lady Anne. Ich erinnere mich noch an den kalten Luftzug, als sich die Tür öffnete, und dann hörte ich ihre Schritte. Die Stimmung im Raum veränderte sich. Es ist schwer zu beschreiben, aber ich erinnere mich ganz genau. Es schien, als würden alle die Luft anhalten.“ Er hielt inne und schluckte schwer. „Lady Annes Stimme war beinahe so schneidend wie die Peitsche selbst. Sie sagte: ‚Was in Gottes Namen tut Ihr da?‘ Und ich schwöre, als Malvoisier sie sah, schien er zusammenzuschrumpfen wie eine Schnecke, auf die man Salz gestreut hat.“
Simons Kiefer spannten sich. Er erinnerte sich an die Verletzlichkeit, die er in der Nacht, in der sie zu ihm gekommen war, um ihm von Henrys Überleben zu berichten und um Grafton zu verhandeln, an ihr bemerkt hatte. Sie hatte ihm nicht gesagt, dass sein Bruder nur noch wegen ihres Mutes lebte. Jeder hielt sie für unerschütterlich, aber er hatte gespürt, dass das nicht stimmte. Er wusste, dass sie panische Angst gehabt hatte. Trotzdem hatte sie Henry geholfen und war dabei ein großes persönliches Risiko eingegangen. Er selbst war nicht da gewesen, um seinem Bruder zu helfen, aber Anne.
Plötzlich wurden die Wut und der Wille, sie zu beschützen, so stark in Simon, dass er selbst erschrak. „Was passierte dann?“, fragte er grimmig.
„Es wurde ganz still. Keiner wagte es, etwas zu sagen. Dann fing Malvoisier an zu schreien und zu toben. Er zerschmiss die Gläser, aber trotz seines Wutausbruchs wusste ich, dass ich gerettet war. Etwas hatte sich verändert.“ Er schluckte wieder. „Lady Anne gab den Befehl, mich in ihre Räume bringen und meine Wunden versorgen zu lassen. Malvoisier brüllte, dass ich in den Kerker zurücksollte, aber sie widersprach seinen Befehlen, und er wagte nicht, sich ihr entgegenzustellen.“
Erst jetzt merkte Simon, dass er seine Hände so fest zu Fäusten geballt hatte, dass es wehtat. Er öffnete sie wieder und fühlte, wie die Spannung langsam nachließ.Anne, allein und schutzlos, die trotzdem nicht aufhörte zu kämpfen, um Henry, um ihr Zuhause und ihre Leute genau wie um sich selbst … Er fühlte einen Schmerz in seinem Herzen, ein Gefühl, dass er nicht kannte. „Ich stehe tief in ihrer Schuld“, sagte er schroff. „Sie hat es mir nie erzählt.“
„Das würde sie auch nie tun“, erwiderte Henry. „Ich bezweifle, dass sie überhaupt je davon sprechen würde.“
„Nein. Das würde sie nicht.“ Simon sah seinen Bruder an. „Warum hast du es mir nicht erzählt , als du mich das erste Mal gesehen hast?“
Wieder röteten sich Henrys Wangen. „Ich habe mich geschämt“, sagte er ohne Umschweife. „Ich war hilflos und sie …“, er seufzte, „… sie hatte niemanden, der sie beschützte, und doch hat sich mich gerettet.“
Simon nickte. Es war wider die natürliche Ordnung der Dinge. Tief in ihm rührte sich ein Gefühl der Schuld. Anne Grafton kämpfte wie eine Tigerin für die Menschen, die ihr am Herzen lagen. Sie würde alles für sie und für die Gerechtigkeit riskieren. Es schien die grausamste Ironie, dass sie selbst niemanden hatte, der sie verteidigte. Und ausgerechnet er war der Mann, der ihr alles, was ihr wichtig war, wegnehmen würde.
Henry sah ihn nun mit durchdringendem Blick an. „Auch wenn ich verstehe, was du hier in Grafton tun musst, Simon, bitte ich dich doch, nichts von mir zu verlangen, was Lady Anne wehtun würde, denn das müsste ich ablehnen. Ich würde sogar noch weiter gehen …“, er schluckte schwer, „… und dich bitten, ebenfalls nichts zu tun, was ihr wehtun würde. Du schuldest ihr zu viel.“
Ein Lächeln spielte um Simons Lippen. „Deine Loyalität gehört verschiedenen Seiten“, stellte er fest. „Das ist schade.“
Henry zuckte mit den Schultern. „Meine Loyalität gehört dir, Simon. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben. Ich stehe auf Seiten der Parlamentarier und habe geschworen, sie zu unterstützen. Aber wenn es um Grafton geht, kann ich dir nicht helfen.“
Simon rieb sich über die Stirn. Er konnte Henrys Problem nur allzu gut verstehen, denn es entsprach seinem eigenen. Er war derjenige, der Anne Grafton weggenommen hatte. Sein Bruder verdankte ihr sein Leben, und er hatte es ihr mit nichts als Leid vergolten. „Ich respektiere deine Gefühle“, sagte er. „Gott weiß, dass ich Lady Anne viel schulde.“ Er
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