Geliebte Gefangene
stand in scharfem Kontrast zu dem Feuer, das ihn verzehrte. „Ist es Eure Angewohnheit, so spät am Abend Frauen in ihren Gemächern aufzusuchen?“
Simon räusperte sich. „Erst seit ich Euch getroffen habe, Lady Anne.“
Ein leichtes Lächeln umspielte Annes Lippen. „Was ist also so wichtig, dass es nicht bis morgen warten kann?“
Einen Moment zögerte Simon. Ehrlich gesagt, wusste er es selbst nicht so genau. Er wusste nur, dass er, nachdem er mit Henry gesprochen hatte, Anne sofort sehen musste. Denn er wollte ihr danken. Er musste es tun, denn er stand tief in ihrer Schuld. Aber er wollte auch wissen, wie sie sich gefühlt hatte, als sie sich Malvoisier entgegenstellte. „Ich war bei Henry“, sagte er langsam, „und ich musste sofort mit Euch sprechen.“
Überraschung flackerte in ihren Augen auf. „Geht es um Muna?“
Für einen Moment vergaß Simon sein Vorhaben. Er hatte nicht darüber nachgedacht, wie es für Anne sein musste, auf eine jüngere Cousine aufzupassen, wo sie doch genug damit zu tun hatte, ihre eigenen Interessen zu verteidigen. Aber er verstand ihre Angst. Muna war erst achtzehn, und sie war das Mündel des Earl of Grafton gewesen. Zweifelsohne lastete die Verantwortung wegen der Zukunft ihrer Cousine schwer auf Anne. Und sie war sich ganz sicher auch des Konflikts der beiden widerstreitenden Loyalitäten von Henry und Muna bewusst. „Ihr braucht Euch keine Sorgen über Henrys Absichten machen. Ich gehe davon aus, dass sie durch und durch ehrenhaft sind.“
Anne runzelte ein wenig die Stirn. „Ich bin mir nicht sicher, ob mich das beruhigt, Mylord. Henry ist keine gute Partie für meine Cousine. Er ist der jüngere Sohn und außerdem ein Parlamentarier. Ich kann das nicht gutheißen und werde meine Zustimmung nicht geben.“
Simon lachte. „Henry ist ein Greville. Er mag jung sein, aber er weiß, was er will. Wenn Ihr Euch ihm entgegenstellt, wird er sich einfach nehmen, was er begehrt.“
Ihre Blicke trafen sich. Dann sah Anne bewusst zu der Stundenkerze hinüber. „War das alles, was Ihr mir mitteilen wolltet, Mylord?“ Ihre Stimme klang kalt. „Dass Euer Bruder, wie Ihr selbst, ein Pirat ist, der einfach kommen und sich alles, was er will, nehmen wird?“
„Nein.“ Simon holte tief Luft. „Ich bin nicht gekommen, um Euch das zu sagen. Ich bin gekommen, um Euch zu danken. Es scheint, ich stehe in Eurer Schuld.“
Anne wandte sich mit einem Rascheln ihres schwarzen Seidenkleids von ihm ab. „Wie das?“ Ihre Stimme klang immer noch kalt.
„In der Nacht, als Ihr in mein Quartier gekommen seid“, erklärte Simon langsam, „habt Ihr gesagt, dass es Henry und alle anderen Bewohner der Burg das Leben kosten würde, wenn ich das Gut stürmte. Ich fragte Euch, ob es Euch wichtig sei, sein Leben zu retten, und Ihr habt geantwortet, dass Ihr ihn wie einen Bruder lieben würdet.“
Aufmerksam blickte Anne ihn an. Ihr Gesicht war bisher völlig ausdruckslos gewesen, aber jetzt glaubte er, ein Aufblitzen von Gefühlen in ihren Augen gesehen zu haben. Er sah, dass sie schwer schluckte.
„Und?“ Sie entfernte sich ein Stück von ihm.
Simon folgte ihr durch die Kammer. „Was Ihr mir nicht gesagt habt“, fuhr er ruhig fort, „war, dass Ihr ihm schon einmal das Leben gerettet habt. Ihr habt ihn vor Malvoisiers Folter bewahrt. Er hat es mir heute Abend erzählt.“
Anne hatte sich abgewandt, aber jetzt warf sie ihm einen schnellen Blick zu, der ihre Überraschung verriet. „Henry hat Euch das erzählt?“, wiederholte sie ungläubig.
Simon sah sie fragend an. „Habt Ihr geglaubt, er würde es nicht tun?“
„Nein, ich …“ Anne brach ab und setzte neu an. „Ich wusste nicht, dass er sich noch daran erinnert, was passiert ist. Er war sehr krank. Ich hatte gedacht … gehofft …, dass ihm nichts davon im Gedächtnis bleiben würde.“
„Oh, er erinnert sich“, entgegnete Simon grimmig. Er wusste, dass die Erinnerungen an jene Nacht seinen Bruder noch für lange Zeit verfolgen würden. Vermutlich würde er sie nie vergessen. Solche Gewalt und Angst hinterließen unauslöschliche Spuren in der Seele eines Mannes.
„Dann tut es mir leid“, sagte Anne. „Es muss schlimm für ihn sein, das alles noch vor Augen zu haben.“
Sie sahen sich für einen langen Moment an. Das Kerzenlicht warf einen sanften Schimmer, und Simon fand, dass Anne in dem warmen Schein sehr jung aussah. In diesem Moment sah er all ihre Einsamkeit und Trauer in ihren Augen. Dann, als
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