Geliebte Gefangene
einer würde für Geld fast alles tun.“
„Ich weiß“, erwiderte Anne. „Aber nicht hier in Grafton. Jeder Mann und jede Frau hasst Malvoisier. Keiner von ihnen würden ihm jemals helfen.“
„Das könnt Ihr nicht wissen“, widersprach Simon.
Fest schaute Anne ihn an. „Ich kann nicht glauben, dass das einer von den Menschen, denen ich vertraue, getan haben soll“, beharrte sie, aber selbst sie konnte den Zweifel in ihrer Stimme hören. Sie wollte nicht, dass es stimmte. Denn sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass einer ihrer eigenen Leute sie für Geld betrogen hatte.
Simon antwortete nicht, doch Anne spürte, dass er sie gleich nach den Namen aller fragen würde, die das Geheimnis mit ihr geteilt hatten. Muna, Edwina, John, Pater Michael … Sie waren die Einzigen, die von dem geheimen Gang und dem Schatz des Königs wussten. Ihnen allen vertraute sie, und sie würde sie gegen Simons Rache verteidigen. Der Verlust seiner Männer und seine Unfähigkeit, sie zu beschützen, hatten ihn tief getroffen. Sie konnte das sehr gut verstehen. Zuerst Henry und nun dies. Mit jedem neuen Frevel, den Malvoisier beging, wuchs Simons Hass. Nichts würde ihn jetzt noch aufhalten, diesen Mann zur Strecke zu bringen.
Simon verlagerte sein Gewicht, und die Bewegung lenkte Annes Aufmerksamkeit zu ihm zurück. Er beobachtete sie mit dunklem Blick. „Warum will Malvoisier Euch töten?“, fragte er. „Zweimal hat er es jetzt versucht. Ich verstehe das nicht.“
Unbehaglich sah Anne zur Seite. Für einen Moment dachte sie an den Schatz des Königs, versuchte sich jedoch einzureden, dass dieser Verdacht unbegründet sei. Es war unmöglich, dass Malvoisier davon wissen konnte. In ganz Grafton gab es nur etwa ein halbes Dutzend Menschen, die das Geheimnis kannten, und jeder von ihnen war loyal bis in den Tod. Es musste einen anderen Grund geben. Sie zuckte mit den Schultern, ohne an ihre Wunde zu denken. Die Bewegung jagte einen stechenden Schmerz durch ihren Körper, doch sie verbiss sich einen Schmerzenslaut. „Er hat viele Gründe, mich zu hassen. Ich habe ihn vor seinen Männern beschämt. Er ist sehr stolz und trägt mir das mit Sicherheit nach.“ Sie wandte sich zum Feuer, in der Hoffnung, ein wenig von der Wärme zu spüren. Was sie eigentlich sagen wollte, war, dass Gerard Malvoisier sie begehrte und dass sie ihn abgewiesen hatte. Das war es, was er ihr niemals verzeihen würde.
Leicht berührte Simon ihre Hand. „Erklärt mir das. Ihr wart mit Malvoisier verlobt. Gab es zwischen Euch wirklich nichts als Hass?“
Anne schüttelte den Kopf. „Es war nicht so, wie die Leute den ken. Es gab kein offizielles Eheversprechen zwischen uns. Er wollte es, und der König unterstützte die Verbindung. Aber ich lehnte ab.“ Fahrig spielte sie mit den Seidensträngen auf ihrem Schoß. „Es stimmt, dass Malvoisier jedem erzählt hat, wir wären verlobt.“ Sie senkte den Blick. „Es diente seinen Zwecken. Und es gefiel ihm auch zu erzählen, dass wir das Bett teilen würden. Ich habe seine Verleumdungen gehört. Sie sind nicht wahr.“
Simons Blick fand den ihren. „Das freut mich“, sagte er sanft. „Auch wenn es bedeutet, dass Malvoisier Euch hasst, freut es mich trotzdem.“
Anne biss sich auf die Lippen. „In jener Nacht, als ich zu Euch kam“, fuhr sie leise fort, „hatte ich Angst, dass Ihr glauben würdet, ich … und er … Ich habe so leidenschaftlich auf Euch reagiert, dass ich befürchtet habe, Ihr würdet den Geschichten Glauben schenken und dächtet, ich wäre seine Hure.“
Simons Hand schloss sich fest um die ihre. „Das hätte ich niemals von Euch gedacht, Anne. Selbst wenn es eine Verlobung und auch den Vollzug gegeben hätte, so hätte ich immer gewusst, dass Ihr es nicht gewollt habt.“
Es fiel eine sanfte Stille über den Raum. Anne wollte sie nicht zerstören. Dieser zerbrechliche Frieden zwischen ihnen schien so kostbar. Für einen kurzen Moment konnten sie vergessen, dass sie auf entgegengesetzten Seiten standen und dass der bittere Bürgerkrieg nur allzu bald wieder zwischen ihnen stehen würde.
„Ihr habt mich einmal gefragt, ob alle Männer Angst vor mir hätten“, sagte Anne. Sie wollte jetzt, dass Simon sie wirklich verstand. „Nun, Gerard Malvoisier hatt e Angst vor mir. Er hatte Angst vor mir und vor der Möglichkeit, dass mein Vater sich wieder erholen und ihn zur Rechenschaft ziehen würde, weil der König mein Patenonkel ist. Und ich hatte ihm gesagt, dass ich ihn
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