Geliebte Gefangene
Truppen durchsuchten das Haus nach Malvoisier, aber später erreichte sie die Nachricht, dass er nirgends gefunden worden war. Kurz darauf hörte Anne von ihrem Zimmer aus, wie Simons Truppen über den steinernen Hof in wildem Galopp davonritten, um die Umgebung nach dem Flüchtigen zu durchsuchen. Sie kehrten bei Einbruch der Nacht unverrichteter Dinge zurück. Es schien, dass Malvoisier ein weiteres Mal verschwunden war. Die Kunde seiner Tat hatte sich in den Dörfern verbreitet, und es herrschte große Unruhe.
„Sie sagen, dass Malvoisier nicht nur des Königs, sondern des Teufels General ist, Madam“, berichtete Edwina, als sie Anne ein wenig Suppe zum Abendessen brachte, „und dass Lord Greville nicht gegen die Mächte des Bösen kämpfen kann.“
„Unsinn!“, erwiderte Anne heftig, aber sie hatte ein ungutes Gefühl. „Malvoisier hat sich nicht dem Teufel verschrieben und dem König ist er auch nicht mehr treu. Er ist nichts weiter als ein Vogelfreier.“
Es war schon spät am Abend desselben Tages, als Simon sie noch einmal aufsuchte. Anne, die die Auseinandersetzung mit Edwina, ob sie noch länger im Bett bleiben musste, gewonnen hatte, saß in ihrer Kemenate, den Stickrahmen auf dem Schoß. Sie wollte nicht länger untätig daliegen und grübeln. Nun saß sie am Feuer, aber die Wärme schien nicht zu ihr vorzudringen. Dicke Vorhänge schlossen die kalte Winternacht aus, doch sie fühlte sich trotzdem nicht sicher. Sie hatte das Gefühl, jemand würde sie beobachten. Muna, die das kalte Frösteln, das sie in ihrem Gesicht sehen konnte, erschreckt hatte, war gegangen, um ihr einen Becher heiße Milch zu holen.
Anne hielt den hölzernen Rand ihres Stickrahmens so fest in der Hand, dass er ihr in die Finger schnitt. Sie bemerkte es gar nicht. Schon seit über einer Stunde saß sie vollkommen regungslos da.
Mit der Dunkelheit war eine unruhige Stille über Grafton gefallen. Die Wachen waren verdoppelt worden, aber das half im Nachhinein auch nichts mehr. Anne wusste das. Sie bewegte sich steif in ihrem Stuhl. Ihre Wunde schmerzte, aber sie wusste, dass sie noch Glück gehabt hatte.
Abrupt blickte sie hoch, als sie Simons Schritte in der Tür hörte, und versuchte, sich aus ihren Gedanken zu befreien. Sie fand, dass er müde aussah, als sei er seit dem Morgen um zehn Jahre gealtert. Das Kerzenlicht spielte schimmernd über sein dunkles kastanienbraunes Haar. Er sah ernst und traurig aus, aber nicht mehr so wütend wie zuvor. Annes Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Feind oder nicht, sie wollte nicht, dass er sie hasste.
Langsam kam er näher, und sie stand auf, um ihm entgegenzugehen. „Es tut mir leid“, sagte sie, bevor er sie noch begrüßen konnte. „Es tut mir so leid, dass Ihr Männer verloren habt.“
Die Falten in Simons Gesicht vertieften sich. Für einen Augenblick dachte sie schon, er würde ihre Anteilnahme zurückweisen. Dann nahm er ihre Hand und führte Anne wieder zu ihrem Stuhl zurück. „So etwas passiert im Krieg.“
Anne schüttelte den Kopf. „Malvoisier hat dies nicht getan, weil er auf der Seite der Royalisten steht. Er ist jetzt unser beider Feind.“ Sie seufzte. „Wie konnte ich nur so dumm sein. Ich hätte nie gedacht … Als ich den Tunnel vor Euch geheim hielt, wäre es mir nie in den Sinn gekommen, dass Malvoisier von meinem Schweigen profitieren würde.“ Sie hielt inne. „Es gibt keine Entschuldigung.“
Simon lächelte müde. „Ihr seid sehr ehrlich. Ich glaube, dass das eines der Dinge ist, die ich an Euch bewundere, Mylady.“
Annes Herz machte einen Satz. Sie blickte auf ihre gefalteten Hände hinunter und sah dann wieder in sein Gesicht. „Also hasst Ihr mich nicht?“, flüsterte sie.
Simons Züge wurden hart, und er ließ ihre Hand los. „Nein, das tue ich nicht. Aber ich habe zwei gute Männer verloren.“
Anne nickte. Sie verstand, was er meinte. Solch unnötiger Verlust war unverzeihlich.
„Ihr seid zu hart zu Euch selbst“, fuhr Simon fort. „Wir haben keine Spur von Malvoisiers Anwesenheit im Tunnel entdeckt.“ Im Kerzenlicht sah sein Gesicht abweisend und kalt aus. „Ich vermute, dass es eine andere Erklärung gibt. Jemand in Grafton ist ein Verräter, sowohl an Eurer als auch an meiner Sache. Er hat Malvoisier hineingelassen – für gutes Geld.“
Anne setzte sich auf. „Nein!“ Das Wort war aus ihrem Mund, bevor sie darüber nachdenken konnte. Eigensinnig schüttelte sie den Kopf. „Das kann ich nicht glauben.“
„So manch
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