Geliebte Gefangene
töten würde, wenn er es wagte, Hand an mich zu legen.“ Sie verzog das Gesicht. „Das sind sicher mehr als genug Gründe, mir den Tod zu wünschen.“ Tränen stiegen in ihr hoch. „Aber stattdessen haben andere durch ihn das Leben verloren.“
Simon blieb stumm. Anne wusste, dass er ihr nicht ohne Weiteres die Absolution erteilen würde, und das erwartete sie auch gar nicht. Vielmehr behandelte er sie mit demselben Respekt, den er einem anderen Befehlshaber entgegenbringen würde, der eine schwierige Entscheidung getroffen hatte und nun den Tod mehrerer Menschen verantworten musste. Er würde ihr keinen Trost anbieten, aber genauso wenig würde er sie verdammen. Aber sie war nicht so tapfer wie er. Sie hatte ihre Entscheidungen gefällt, und andere Menschen hatten die Konsequenzen tragen müssen. Voller Unruhe sprang sie auf, unfähig, die Schuld länger still zu ertragen. „Ich verstehe nicht, warum Malvoisier das Risiko eingegangen ist, nach Grafton zu kommen. Es war ein Irrsinn.“
„Er ist nach Grafton gekommen, weil er mir damit eine Botschaft übermitteln wollte.“ Simons Stimme klang harsch. „Er wollte in meinen Stützpunkt eindringen und mir klarmachen, dass ich noch nicht gewonnen habe. Er wollte all das zerstören, was ich versucht habe, aufzubauen. Verdammt soll er sein!“
Der Hass in seiner Stimme jagte Anne einen kalten Schauer über den Rücken. „Ja, ich verstehe.“ Sie zögerte kurz. „Die Männer, die gefallen sind … Werdet Ihr ihren Familien helfen?“
„Natürlich.“ Ein Anflug von Mitgefühl huschte über Simons harte Züge. „Miller hatte eine Frau und zwei kleine Töchter. Sugden hatte erst vor sechs Monaten geheiratet. Ich glaube, seine Frau erwartet ein Kind.“
Annes Kehle schnürte sich zusammen. So viele Leben waren durch Gerard Malvoisiers mutwillige Brutalität zerstört worden. Sie wusste, dass es ihn nicht berührte, genauso wenig wie die Folterung von Henry Greville. Er tat all das nicht für ein höheres Ziel, sondern nur zu seinem eigenen Nutzen. „Malvoisier war schon immer ein guter Schütze“, sagte sie und rieb sich gedankenverloren die Schulter, wo der Pfeil sie getroffen hatte. „Er hat jeden Tag stundenlang trainiert.“
„Er hat Pfeile benutzt, weil sie auf die Entfernung genauer sind.“ Simon verzog die Lippen. „Das war schlau von ihm, aber nicht schlau genug, um Erfolg zu haben.“
Anne schlang die Arme um sich, um die Kälte, die sie erfüllte, abzuwehren.„Ich bin im letzten Moment zur Seite gegangen. Etwas hat mich gewarnt, ich weiß nicht was.“ Sie zitterte, als sie sich nochmals klarmachte, wie knapp sie dem Tod entronnen war. „Ich hatte Glück“, schloss sie leise. Dann ging sie zur Tür. „Ich denke, ich werde mich jetzt zurückziehen, Mylord. Ich bin sehr müde.“ Sie wollte nicht allein sein. In den dunklen Ecken des Zimmers lauerte die Angst. Aber sie war so erschöpft, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Simon hatte sich ebenfalls erhoben. „Ich habe die Wachen vor Eurer Tür verdoppelt. Ihr habt nichts zu befürchten.“
„Ich würde mich sicherer fühlen, wenn ich meine Pistole neben mir im Bett hätte“, erklärte Anne mit einem müden Lächeln. „Unglücklicherweise haben Eure Männer sie mir weggenommen, damit ich sie nicht gegen Euch richte.“
Simon lächelte ebenfalls. „Wenn Ihr mich statt der Pistole mit in Euer Bett nehmt, Mylady, verspreche ich, Euch zu beschützen.“
Voller Unruhe bemerkte Anne, dass er sie schweigend beobachtete, seine Augen dunkel und voller Schatten. Sie konnte die Versuchung geradezu körperlich spüren. Wieder die Berührung seiner Hände auf ihrer Haut und die Stärke und Kraft seines Körpers an dem ihren zu fühlen, der Trost, nicht allein sein zu müssen, und die Leidenschaft, die die Dunkelheit aus ihrem Geist vertreiben würde … Ohne darüber nachzudenken, machte sie einen Schritt auf ihn zu und sah das Verlangen in seinen Augen aufflackern. „Ich gestehe, dass ich nicht allein sein möchte“, sagte sie leise, „aber Simon, Ihr wisst, dass es nicht geht …“
Es war ein intensiver Moment, in dem die Gefühle zwischen ihnen sich wie ein fragiles Geflecht bis fast zum Zerreißen spannten. Dann nickte Simon. Doch als er sprach, kam seine Frage überraschend für Anne.
„Ihr sagtet, dass Ihr Malvoisier gedroht habt, ihn zu töten, wenn er Euch berührt“, sagte er leise. „Hättet Ihr das wirklich getan?“
„Ja“, erwiderte sie fest. „Ich
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