Geliebte Gefangene
riss Anne die Augen weit auf. „Was meint Ihr damit? Ich bin hier gewesen. Ich habe Captain Jackson doch gesagt …“
„Captain Jackson hat Euch vor einer halben Stunde zur Kirche begleitet. Ihr habt ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen und verschlossen. Ich will wissen, wo Ihr gewesen seid.“
Anne versuchte, angemessen zerknirscht auszusehen. „Ich muss mich entschuldigen, Captain Jackson. Wie Ihr sicher bemerkt habt, wollte ich mit meinen Gedanken allein sein.“ Sie wandte sich wieder Simon zu. „Ich bin die ganze Zeit hier gewesen, Mylord. In der Sakristei.“
Als Jackson einen ungläubigen Laut hören ließ, brachte Simon ihn mit einem Blick zum Schweigen. „Ihr seid also die ganze Zeit in der Sakristei gewesen?“, wiederholte er mit ruhiger Stimme. „Dann müsst Ihr doch gemerkt haben, dass wir in der Kirche nach Euch gesucht haben. Ganz sicher müsst Ihr uns an der Tür gehört haben.“
Anne schlug die Augen nieder. „Ich habe nichts gehört. Ich fürchte, mein Kummer hat mich … ein wenig überwältigt.“
Jackson und den anderen war die Situation sichtlich unangenehm. Simon hingegen sah nicht so aus, als würde er ihr glauben.
„Ich würde jetzt gerne zurück in meine Zimmer gehen“, sagte Anne. „Wenn das möglich wäre.“
Simon zog die Augenbrauen nach oben. „Also gut. Es gibt nichts mehr zu sagen. Jackson, lasst die Männer abtreten. Gebt Nachricht, dass Lady Anne gefunden wurde.“
Anne sah zu, wie der geknickt wirkende Captain seine Männer zu sich rief und mit ihnen aus der Kirche marschierte. Ihre Schritte verhallten langsam. Sie blieb im flackernden Schein der Fackeln zurück – zusammen mit Simon, der sie noch immer mit verwirrend durchdringendem Blick ansah. Sie wusste ohne jeden Zweifel, dass er ihr kein Wort geglaubt hatte. Er hatte die Männer nur weggeschickt, weil er bei ihrem Gespräch keine Zeugen wollte.
„Da Ihr Eure Andacht für heute Nacht offenbar beendet habt“, sagte er mit kalter Stimme, „werde ich Euch zu Eurem Zimmer begleiten.“
Er machte einen Schritt zurück, um ihr den Vortritt durch die Kirchentür zu lassen, und trat dann an ihre Seite, um sie über den Burghof zum Haupteingang zu begleiten. Annes Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Der Drang, etwas zu sagen, irgendetwas, nur um die Stille zwischen ihnen zu füllen, war beinahe übermächtig. Sie wusste, dass es genau das war, was Simon wollte. Er wartete nur darauf, dass sie sich selbst verriet.
Als sie endlich an der Tür angekommen waren, lagen Annes Nerven blank. Aber es war ihr gelungen zu schweigen. Sie streckte eine Hand nach dem Riegel aus, doch Simon legte seine Finger über ihre.
„Einen Augenblick, Mylady.“
Anne verharrte schweigend.
„Warum seid Ihr in die Sakristei gegangen und nicht im Hauptschiff der Kirche geblieben?“
Das Herz schlug Anne bis zum Hals. „Ich wollte am Schreibtisch etwas lesen. Pater Michael bewahrt dort sein Gebetbuch auf.“
„Und Ihr habt die Tür hinter Euch verschlossen?“
Hochmütig zog Anne eine Augenbraue hoch. „Ja, das habe ich. Ich wünschte, nicht gestört zu werden.“
„Das Fenster der Sakristei war offen. Habt Ihr das bemerkt?“
Anne zögerte. „Nein“, sagte sie schließlich. „Pater Michael muss es offen gelassen haben. Er scheint mit dem Alter etwas unaufmerksam zu werden.“
In Simons dunklem Blick lag Herausforderung. „Es muss doch sehr kalt gewesen sein bei dem Durchzug.“
„Ich hatte meinen Mantel.“
„Ah, ja.“ Simon nahm seine Hand vom Riegel, bückte sich, hob etwas vom Boden auf und hielt es ihr hin. „An Eurem Saum hängt Stroh. Hält Pater Michael dieser Tage sein Pferd in der Sakristei?“
Anne sah nach unten. Ihr Herz machte einen erschrockenen Satz. An ihrem Rock hingen in der Tat einige verräterische Strohhalme. Sie schüttelte sie ab. „Es scheint, dass die Korridore nicht so sauber sind, wie sie sein sollten“, gab sie leichthin zurück.
„Oder Eure nächtlichen Wanderungen haben Euch weiter weg geführt, als Ihr mich bisher glauben machen wolltet“, vermutete Simon. Er blockierte noch immer die Tür mit seinem Körper, und sein Tonfall war jetzt kalt wie Eis. „Kommt schon, Lady Anne. Haltet Ihr mich für einen Narren? Ihr wart heute Nacht nicht in der Kirche. Ihr wart in den Ställen. Und ich vermute, dass Ihr dort den Schatz versteckt habt.“
Das Herz schlug Anne bis zum Hals. „Ich war in der Kirche“, beteuerte sie erneut. „Ihr selbst habt mich dort
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