Geliebte Korsarin
Mary-Anne an sich, sondern Sie nehmen auch noch diese Sonderwelt auseinander! Das müssen die Kerle erst verdauen. Erstaunlich, wie McDonald und seine Mannschaft sich umgestellt haben. Aber sie schweben noch in Illusionen, denn noch wissen sie nicht, wie beschissen diese sogenannte ehrliche Welt ist! Luis de Vegas kennt sie – er hat genug Jahre in verschiedenen Zuchthäusern gesessen. Und wissen Sie auch, warum? Weil er ehrlich war! Sehen Sie mich nicht an wie eine Kuh, die ihren eigenen Fladen gefressen hat! Luis hat mir einmal bei einem Saufabend mit purem Rum seine Geschichte erzählt. Der Junge hat sogar die höhere Schule besucht, unter kirchlicher Leitung! Eine Klosterschule! Da fing's schon an. Er meldete dem Prior, daß der Pater Geschichtslehrer homosexuell sei. Die Folge war: strenge Bestrafung mit Essensentzug und unzähligen Vaterunsern! Nicht für den Geschichtslehrer, für Luis! Nach drei Jahren Gegenwehr flog er aus dem Kloster und trat eine Lehre bei einer Handelsgesellschaft an. Dort entdeckte er nach einem halben Jahr, daß der Versandleiter doppelte Buchungen machte, von jeder Sendung wurden zwei bis drei Kisten abgezweigt. Der ehrliche Luis meldete es der Geschäftsleitung. Erfolg: Er wurde eines Nachts von Unbekannten verprügelt. Acht Tage später fand man in seiner Jacke die Brieftasche des Versandleiters mit 356 Dollar! Luis beteuerte, er wisse nicht, wie sie in seine Jacke gekommen sei – und keiner glaubte ihm. Die erste Strafe: Zwei Jahre hinter Gittern! Von da an ging es nach dem Gesetz der schiefen Ebene abwärts. Wo immer Luis auftauchte, er war nun vorbestraft und mit dem Ruf behaftet, ein Querulant zu sein. Und siehe da … Er machte dem alle Ehre: Er durchlief vier Jobs, und überall deckte er Unehrlichkeit auf. Und immer traf es am Ende ihn … zuletzt vier Jahre Zuchthaus wegen schwerer Körperverletzung, weil er einem Wiegemeister die falschen Gewichte an den Kopf geworfen hatte! Aus diesem letzten Zuchthaus konnte er fliehen und traf auf der Insel Guadeloupe mit McDonald zusammen. Der stellte Luis dem Käpten vor, und Mary-Anne nahm Luis zu sich. Da er sich bald als ein kluger Kopf entpuppte, übernahm er die Außenstelle Saba, die damals gerade eingerichtet wurde. Er wurde Umschlaglagerleiter und Auskundschafter – unentbehrlich für die Karibik-Piraterie. Ich sage Ihnen, Rainherr, hier, in den ehemaligen Seeräuberhöhlen, lagern noch Millionen an Beute, die Mary-Anne gemacht hat. Hier ist sie doch sicherer als in jedem Banktresor.«
»Und das alles wissen Sie!« Andreas hatte sich kopfschüttelnd zurückgelehnt. »Meier XXIII, Sie machen sich doch mitschuldig! Ist Ihnen das nicht klar?«
»Bei mir kann man nicht mehr von Schuld reden. Ich genieße Narrenfreiheit!« Der alte eingeschrumpfte Arzt lachte. Er knöpfte den viel zu weiten Hemdkragen auf und angelte nach seinem Rumpunsch. »Aber Sie, Rainherr, Sie sind in einer verteufelten Lage! Sie wissen doch auch alles! Gut, Sie wollen Mary-Anne umkrempeln, es ist Ihnen bereits gelungen … Aber, Sie wandelndes Gewissen, wie wollen Sie das ›Gespenst der Karibik‹ reinwaschen? So gute Waschmittel gibt es doch gar nicht!«
»Die Kanone und die MGs werden im Meer versenkt. Die ›Altun Ha‹ bleibt die ›Gotland‹!«
»Das sind doch Äußerlichkeiten. Meiner Schätzung nach hat Mary-Anne im Laufe ihrer Piratenlaufbahn mindestens zwanzig bis fünfundzwanzig Millionen Dollar zusammengeklaut. Es ist sagenhaft, was hier in der Karibik an Werten herumschwimmt!«
»Wir werden alles zurückzahlen«, sagte Dr. Rainherr fest.
Meier XXIII schlug die faltigen Hände zusammen. »O Himmel, so bescheuert können Sie wirklich sein?« Er beugte sich vor. »Wollen Sie vielleicht einen weltweiten Aufruf erlassen: Alle, die je in der Karibik überfallen worden sind, möchten sich bitte melden bei Dr. Andreas Rainherr, Cayman Brac. Er ersetzt alle Schäden! Der Auszahlungsschalter ist täglich geöffnet von zehn bis siebzehn Uhr! – Verrückt, nicht wahr? Genauso verrückt ist Ihr Gedanke der Wiedergutmachung.«
»Nein.« Rainherr nahm den Spott des Arztes gelassen hin. »Ich werde mit den vorhandenen Werten eine Stiftung machen. Vielleicht ein Krankenhaus in einem Notstandsgebiet …«
»Der Albert Schweitzer der Karibik!« Meier XXIII lachte hell. »Da gäbe es nur einen gravierenden Unterschied: Professor Schweitzer lebte von wohltätigen Gaben – Sie bauen Ihr Denkmal mit geklauten Schätzen!«
»Ich versuche mir einzureden, daß
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