Geliebte Korsarin
schon fast zum Anstellungskontrakt. Sir, wir haben alle eine verdammt gute Meinung von unserem Käpten …«
»Das war eine gute Rede, Jim.« Rainherr klopfte McDonald auf die breite Schulter. »Irgendwann trinken wir darauf eine Flasche Rum! Sie haben mir sehr geholfen!«
»Ich – Ihnen, Sir?«
McDonald blickte Rainherr verständnislos nach, als dieser die Treppe zu den Kajüten hinunterstieg. Dann stopfte er seine Pfeife neu, blies dichte Rauchwolken in den strahlenden Nachmittagshimmel und hing seinen Gedanken nach. Sie gipfelten in der Feststellung, daß zum erstenmal in seiner Piratenlaufbahn diese Kaperung ein Mißerfolg war.
»Scheiße!« sagte Jim laut. »Das wird der Käpten nicht verdauen …«
Andreas Rainherr hielt sich nicht damit auf, an die Schlafkajütentür zu klopfen und auf ein ›Herein!‹ zu warten. Er trat einfach ein und sah Mary-Anne noch so daliegen, wie er sie verlassen hatte.
Der Tropf war beinahe leer, seine Wirkung zeigte sich schon. Mary-Annes Hautfarbe hatte wieder einen rosigeren Ton bekommen … das stumpfe Braun, das manchmal sogar gräulich gewirkt hatte, war verschwunden. Brav hielt sie den linken Arm noch ausgestreckt, in der rechten Hand hielt sie ein schmales Notizbuch und las darin, als Rainherr eintrat. Sie warf es zur Seite und sah ihn mit böse funkelnden Augen an. Er erkannte, daß es sein Notizbuch war, das sie wohl von seiner ANNETTE I mitgenommen hatte.
»Auch wenn Sie eine Hose und ein Hemd wie ein Gassenjunge tragen, sollten Sie sich nicht so schlecht benehmen! Man klopft an, bevor man bei einer Dame eintritt«, sagte sie laut. »Außerdem kommen Sie sehr spät. Eine halbe Stunde ist längst vorbei.«
»Sieben Minuten darüber, Lady.«
»Ich verlange absolute Pünktlichkeit.«
»Bei Ihrer Mannschaft – gewiß! Das ist vollkommen in Ordnung. Aber ich bin erstens Ihr Gefangener und zweitens Ihr Arzt und drittens … Ihr zukünftiges großes Problem. Das umschließt Sonderrechte. – Und wie ist das werte Befinden, Gespenst der Karibik?«
»Miserabel!« knirschte sie. Ihre Wut war nicht gespielt. »Ich glaube, ich bekomme Fieber.«
»Nicht bei diesem Penicillinstoß!« Er legte seine Hand auf ihre Stirn, die sich kühl, glatt und trocken anfühlte. Kein Hauch von Schweiß. »Wir wechseln jetzt das Infusionsfläschchen, am Abend werden wir brav essen und dann ein langes Schläfchen halten. Morgen sieht die Welt wieder rosiger aus …«
Dr. Rainherr kniff die Klemme am Infusionsschlauch zu und hakte die leere Flasche aus der Verbindung. »Die bunten Fischlein tanzen Ringelreihen im Wasser, in den Palmen, da säuselt der Wind …«
»Schweigen Sie endlich, oder ich werde Jim befehlen, Sie zu töten!« sagte Mary-Anne leise. »Der tut es sofort, verlassen Sie sich darauf!« Ihre rechte Hand ballte sich zur Faust. »Mit mir zu sprechen wie mit einer Verrückten …«
»Erst wechseln wir die Infusion, dann kann Jim immer noch kommen und mich umbringen. Ich stelle fest: Die Zufuhr neuer Flüssigkeit bekommt Ihnen ausgezeichnet. – Noch Schmerzen in der Wunde?«
»Ja!«
»Gelogen! Ich habe Ihnen ein Schmerzmittel injiziert, das bis morgen früh anhält.«
»Ich reagiere eben anders darauf.«
Er setzte die neue Infusionsflasche an und drehte die Schlauchklemme wieder auf.
»Wenn Sie diese Portion im Körper haben, Mary-Anne, werden Sie sich stark wie Penthesilea fühlen. Sie kennen diese Dame? Penthesilea war die sagenhafte Königin der Amazonen. Nach Homer, der ihre Geschichte beschrieb, bildhübsch, tapfer, mutig, unerschrocken, gefürchtet. Ihr Heer, die Amazonen, hatten als Frauen nur einen Schönheitsfehler. Sie ließen sich die rechte Brust amputieren, um den Bogen besser spannen und zielen zu können. Solche Mordsweiber waren das! Trotzdem reagierte Penthesilea ziemlich weiblich, als sie dem heldenhaften Achilles begegnete. Sie verliebte sich nämlich in ihn! Und das war ihr erster, gröbster, aber auch letzter Fehler, denn Achilles tötete sie.«
Rainherr kontrollierte die Infusion, die Glukoselösung tropfte ordnungsgemäß in die Vene.
»Was soll diese blödsinnige Rede, Herr Oberlehrer?« fragte Mary-Anne grob.
»Einiges beruhigt mich beim Vergleich mit Penthesilea: Sie haben sich erstens nicht in mich verliebt, und zweitens haben Sie noch beide Brüste …«
»Ich rufe nach Jim, wenn Sie nicht endlich mit dem Gequatsche aufhören!« zischte sie. Unter der Wolldecke bebte sie vor Zorn. Ihr Temperament war vulkanisch; in ihren Armen zu liegen,
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