Geliebte Korsarin
muß ein halbes Sterben sein, dachte Andreas. Sie wird sich wie ein Tier festkrallen und festbeißen …
Er nahm das Notizbuch, das sie bei seinem Eintreten weggelegt hatte, und blätterte darin.
»Interessante Lektüre?« fragte er.
»Ihr Tagebuch?«
»Ja.«
»Voller Frauennamen …«
»Ja, eine ganze Liste.«
»Das ist wohl Ihre einzige Beschäftigung?«
»So ziemlich.«
»Und was sagt Ihre Tochter dazu?«
»Sie kennt sie alle …«
»Als Vater scheinen Sie ein untaugliches Objekt zu sein! Wie alt ist denn Ihre Tochter?«
»Sechzehn …«
»Sechzehn Jahre – und wird mit einem widerlichen Harem konfrontiert!«
Sie sagte es, als spucke sie die Worte aus.
Er hatte das Tagebuch wieder auf das Bett zurückgelegt. Plötzlich nahm sie es mit der freien rechten Hand und schleuderte es gegen die Wand. »Beschmutzen Sie mein Bett nicht mit Ihren Weibern!« schrie sie dabei. »Billige kleine Nutten alles! Sie haben ja sogar hinter die Namen die Preise geschrieben!«
»Stimmt genau.« Dr. Rainherr setzte sich auf die Bettkante, aber so, daß Mary-Annes tatkräftige rechte Hand ihn nicht erreichen konnte. Sie trommelte jetzt mit den Fingern auf die Matratze.
»Nur möchte ich mir verbitten, daß Sie diese fleißigen Frauen so beleidigen …«
»Auch noch fleißig? Sie sind ja wohl der unmoralischste Kerl, der …« Ihre Stimme zerbrach an ihrer Wut.
»Und das sagt eine Piratin?«
»Gegen Sie bin ich ein Engel!«
»Zugegeben! Aussehen tun Sie wie ein Engel, das wird niemand bestreiten. Nur Ihr Broterwerb ist weniger engelhaft. Diese Frauen aber, die da in meinem Notizbuch stehen, verdienen ihr Geld ehrlich: Sie sind Arbeiterinnen in einer kleinen Fischfabrik, die mir gehört. Und die Zahlen hinter den Namen sind die Monatslöhne.«
»Ich denke, Sie haben kein Geld?«
»Die Fischfabrik ist eine Erbschaft. Mit dem vorigen Besitzer habe ich ein paarmal ein Glas getrunken, wir wurden Freunde, und als er plötzlich starb und sein Testament eröffnet wurde, hatte er mir die Fabrik vermacht! Mary-Anne, rechnen Sie nicht im stillen nach, wieviel Lösegeld ich wert bin! Nichts! Die Fabrik trägt sich gerade selbst, ich betreibe sie nur noch wegen der Arbeiterinnen, die sonst hungern müßten. Auch Cayman Brac ist eben nur ein kleiner Teil dieser Welt und behaftet mit allem Schönen und Schweren des irdischen Daseins.«
»Ich kenne die Caymans«, sagte Mary-Anne ruhiger. Rainherrs Erklärung hatte sie sichtlich beruhigt, ihr Blick wurde sanfter, ja, sie lächelte sogar, als er die Decke über ihrem Körper geradezog.
»Aber ich kenne Fernando Dalques nicht«, schoß er seinen lange aufgesparten Satz wie einen Pfeil ab.
»Ein schöner Mann! Stammt aus Guatemala! Fünf Jahre jünger als Sie …« Sie lächelte stärker, als sie bemerkte, wie sich seine Wangenmuskeln bewegten und anspannten. »Sie werden ihn kennenlernen!«
»Kaum«, sagte er hart.
»Ich habe mir gedacht, daß wir übermorgen zurück nach Belize fahren. Ihr Boot bleibt hier vertäut, es ist ja sowieso manövrierunfähig. In Belize werde ich dann entscheiden, was mit Ihnen geschehen soll. Vielleicht bringt Sie Fernando um. Er ist dazu ohne die geringste Reue fähig.«
»Sie vergessen meinen Steuermann, Mary-Anne.«
»Den nehmen wir auch mit.«
»Übernehmen Sie sich nicht, Penthesilea …«
»Ich möchte Sie anspucken!« schrie sie. »Wirklich, es gibt keinen widerlicheren Menschen als Sie! Müssen Sie denn noch immer hier herumstehen?«
Andreas Rainherr sah sich um.
»Eigentlich nicht. Die Infusion läuft gut, kein Fieber, dafür ein großes Mundwerk, keine Schmerzen, dafür böse Gedanken. Ja, Sie haben recht, ich bin wirklich unnötig. Bis später, Mary-Anne …«
Er ging zur Tür, aber ihre herrische Stimme – die Stimme, die man vom Bord ihres Schiffes her gewöhnt war – hielt ihn zurück. »Was heißt später?«
»Beim Abendrot komme ich zurück! A – bend – rot, wann – bist – du – tot … Das war ein ziemlich makabrer Abzählreim aus meiner Jugendzeit …«
»Gehen Sie endlich! Gehen Sie, zum Teufel! Mir wird übel, wenn ich Ihnen noch länger zuhören muß!«
Dr. Rainherr ging. Mary-Anne hörte ihn fröhlich pfeifen, als er die Treppe hinaufstieg.
An Deck hockte der Bärtige auf einer Taurolle und schnupperte zur ANNETTE I hinüber. Köstlicher Bratengeruch wehte von dort.
»Was gibt es bei euch?« fragte Rainherr im Vorbeigehen.
»Jim sagt, Gemüsesuppe aus der Dose.«
»Das harte Piratenleben! Wenn ihr euch mit
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