Geliebte Korsarin
Karibik.«
»Nein!«
Er antwortete nicht und verließ die Schlafkajüte.
Im Salon war Juan Noales mit dem Tafelschmuck fertig und hatte als erstes den Champagner in einem eisgefüllten Kühler bereitgestellt. Er sah seinen Chef fragend an.
»In genau zwanzig Minuten servierst du die Suppe«, sagte Rainherr. »Wie ist hier an Bord die Kücheneinrichtung?«
»Primitiv, Sir. Für solch eine Luxusyacht! Kein Vergleich mit uns! Ich habe das Essen herübergebracht, um es hier warmzustellen und fertigzumachen. Jim steht vor den Töpfen und weint fast. Ich habe ihm versprochen, seine Gemüsesuppe etwas zu verfeinern. Das munterte ihn auf.«
»Also, Juan … in genau zwanzig Minuten!«
Dr. Rainherr sah auf die Uhr, die im Salon hing. Er setzte sich in einen der Ledersessel, rauchte eine Zigarette und dachte an Mary-Anne. Was wird sie tun, fragte er sich. Kommt sie wirklich, oder läßt sie es auf eine Kraftprobe ankommen? Zieht sie ein Kleid an oder erscheint sie als Kapitän, jetzt gerade in Männerkleidung?
Zwei Minuten vor der angegebenen Zeit entkorkte er den Champagner und füllte die Kelche. Er stand mit dem Rücken zum Kabinengang, durch dessen Tür sie hereinkommen mußte.
Genau nach zwanzig Minuten hörte er hinter sich die Tür klappen. Er nahm beide Champagnergläser in die Hände und drehte sich langsam um. Mary-Anne war da.
Sie trug das schwarze Haar lang über die Schulter fallend, hatte sich nur wenig geschminkt und ein hautenges silbergraues Kleid angezogen, das jede Linie ihres makellos schönen Körpers hervorhob. Der runde Halsausschnitt war gerade so tief, daß er die Wunde noch bedeckte.
Es war ein grandioser Auftritt, der Rainherr schneller atmen ließ. Er wollte ›phantastisch!‹ sagen, konnte es aber noch rasch genug hinunterschlucken. Es wäre völlig falsch gewesen.
Wortlos ging er auf die Dame zu und reichte ihr das Champagnerglas.
»Was ist das?« fragte sie. Ihre Stimme klang jetzt merkwürdig kindlich.
»Champagner. Amande Clos 1967!«
Sie nahm das Glas und ärgerte sich maßlos, daß ihre Hand etwas zitterte. »Der arme Mann«, sagte sie, um sich selbst zu überwinden, »der mit Champagner durch die Karibik schippert! Im weißen Smoking! Sie sind doch ein guter Fang!«
»Wie man's nimmt, liebste Korsarin.« Er nickte ihr zu. »Erheben wir unsere Gläser und lassen Sie uns trinken auf Ihre glorreiche Idee, mich zu überfallen!«
»Ich trinke auf Ihr Ende! Ex!« schnaubte sie.
Sie stießen an, die Kelche klirrten fein, und Mary-Anne trank ihr Glas wirklich in einem Zug leer.
Lautlos betrat Juan in seiner Butleruniform den Salon und brachte das Tablett mit den Suppentassen. Mary-Anne starrte ihn an, als glaube sie noch an Geister.
»Was ist denn das?« fragte sie.
»Sie erkennen Juan nicht wieder? Den Messerwerfer? Oder meinten Sie die Suppe? Das ist Schildkrötensuppe, aus frischen Schildkröten bereitet, mit altem Sherry und einer Einlage, die sozusagen ›Geheimnis des Hauses‹ – pardon, ›des Schiffes‹ ist. Lassen Sie sich überraschen …«
»Und Sie sich auch?«
Sie setzte sich an den Tisch, Rainherr schob ihr den Stuhl zurecht und ging dann an seinen Platz. Juan füllte die Champagnerkelche nach.
»Ich habe über Funk durchgeben lassen, daß wir morgen früh auslaufen und gegen Mittag in Belize sind«, berichtete sie freundlich. »Fernando Dalques erwartet Sie mit Ungeduld …«
Sie beugte sich über die Schildkrötensuppe und schnupperte.
»Ihre Henkersmahlzeit, Andreas …«
Es wurde ein schöner Abend, wenn man unter diesen besonderen Umständen überhaupt von schön sprechen konnte. Eine wirkliche Spitzenleistung waren Juans Kochkünste, von denen die ganze Mannschaft der ALTUN HA profitierte, denn natürlich hatte Noales wesentlich mehr gekocht, als zwei Personen verzehren konnten.
So hockten bald im Mannschaftslogis die Piraten in bester Laune mit ihrem Gefangenen zusammen, schwatzten und erzählten Erlebnisse von ihren Kaperfahrten, gegen die ein wilder Piratenroman eine Lektüre für kleine Mädchen ist …
Champagner hatten sie zwar nicht, aber sie tranken Rotwein zu den köstlichen Gerichten, und später puren Rum, den McDonald persönlich auf Jamaika ›eingekauft‹ hatte.
Mary-Anne aß wenig. Sie war durch den starken Blutverlust noch sehr geschwächt, die starken Antibiotika erfüllten sie mit bleierner Müdigkeit. Aber sie wollte es nicht zeigen. Sie hielt tapfer durch, auch wenn sie das Gefühl hatte, ihre Augenlider wären zentnerschwer.
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