Geliebte Korsarin
Sie prostete Andreas Rainherr zu und stellte plötzlich, als dieser aufsprang und die zweite Flasche Champagner im Kühler öffnete, ihr Glas auf den Tisch.
»Wissen Sie überhaupt, in welcher Gefahr Sie sich befinden?« fragte sie, und es schwang in ihrer Stille ein Unterton von Bedrückung mit.
»Ich weiß nur, daß ich mit einer wunderschönen Frau soupiere und daß es bisher köstlicher geschmeckt hat als im besten Hotel von Acapulco.«
»Und diese wunderschöne Frau muß sich ernsthaft überlegen, was mit Ihnen geschehen soll, Andreas.«
»Ich hatte Ihnen ja freigestellt, mich nach dem Essen umbringen zu lassen, Mary-Anne!«
»Reden Sie nicht solch einen Unsinn!«
»Ich darf also weiterleben?«
»Das ist nicht allein meine Entscheidung.«
»Aha! Der böse Fernando Dalques …«
»An Bord und auf See bin ich der Kommandant. Aber an Land redet er mit.«
»Dann lassen Sie uns an Bord und auf See bleiben! Spielen wir so etwas wie den modernen Fliegenden Holländer …«
»Das geht nicht. Wenn ich morgen nicht in Belize einlaufe, alarmiert Fernando die Küstenwache.«
»Ausgerechnet die! Die Marinepolizei kommt den Piraten zu Hilfe!«
»In Belize bin ich eine angesehene Frau. Zusammen mit Fernando Dalques führe ich ein gutgehendes Exportgeschäft.«
»Das heißt: Sie verkaufen völlig legal Ihren Raub?«
Dr. Rainherr goß die Gläser von neuem voll. Mary-Anne hatte immer mehr Mühe, ihre Lider offenzuhalten.
»Nein!« sagte sie grob. »Wir haben ein ehrliches Unternehmen!«
»Das läßt den Fisch aus der Pfanne springen!« Rainherr prostete ihr zu. »Sie überraschen mich von Minute zu Minute mehr.« Er sah sie nachdenklich an. »Wenn Sie müde sind, sagen Sie es ruhig. Ich trage Sie ins Bett!«
»Ich bin nicht müde!« fauchte Mary-Anne Tolkins.
»Nach meinen Erfahrungen müßten Sie so schlapp sein, daß Sie sich danach sehnen, lautlos unter den Tisch zu rutschen und dort sofort einzuschlafen! Aber nein – Sie sind munter wie eine Koralle im klaren Wässerchen.«
»Ja!« schrie sie.
»Schon verstanden.« Andreas trank sein Glas aus, Mary-Anne rührte ihres nicht mehr an. Sie fühlte … noch ein Glas, und sie rollte wirklich unter den Tisch. Die Verbindung der Antibiotika mit dem Alkohol lag wie Blei in ihren Adern.
»Ich gebe zu, eine Dummheit gemacht zu haben«, sagte sie. »Ich hatte nie in den Cays gekapert, nie gewissermaßen vor der eigenen Haustür, sondern immer nur weit entfernt. Meistens in den Gebieten südlich der Bahamas, bei den Turks und Caicos-Inseln und um die ganze Gruppe der Jungfern- und der Leeward-Inseln herum.«
»Ein reiches Feld«, sagte Rainherr beeindruckt und lächelte dabei. »Genau dort treiben sich die lohnendsten Millionäre herum. Das hat bestimmt goldene Ernten gegeben, Mary-Anne.«
»Hat es, ja!« Ihre Stimme sollte hart und piratenhaft klingen, aber die Müdigkeit verschluckte jeden scharfen Ton. »Aber als ich Ihr Schiff sichtete, konnte ich nicht widerstehen. Ich muß verrückt gewesen sein, als ich den Befehl zum Kapern gab!«
»Sie sagten es bereits! Schicksal, Mary-Anne …«
»Nun hab' ich Sie am Hals!«
»Wirklich ein Problem. Aber Fernando wird es lösen.«
»Bestimmt.«
»Und … das macht Ihnen Sorge?«
»Dummheit!« Sie lehnte sich zurück und schloß nun doch die Augen. Welch wundervolles Gefühl, dachte sie dabei, keine Schmerzen haben und schlafen. Schlafen … und zu wissen, daß er da ist und auf mich aufpaßt, dieser verdammte, selbstsichere und arrogante Dr. Andreas Rainherr. Wann ist das jemals vorgekommen, daß ein Mann auf mich aufpaßt, ohne noch etwas anderes zu wollen?
»Ich dachte mir, daß wir Ihre Yacht hier ankern lassen.«
»Einverstanden.«
»Und Ihr Juan bleibt an Bord.«
»Dazu kann ich ihn nicht zwingen.«
»Ein paar Tage nur. Wenn ich sehe, wie sich in Belize alles entwickelt, holen wir offiziell Ihr Schiff als havariert in den Hafen ein. Der Optik wegen müssen wir es dann leider äußerlich etwas beschädigen.«
»Ihnen zuliebe hacke ich Löcher in den Rumpf und nenne mein Boot ›Schweizer Käse‹!«
Mit einem Ruck sprang sie auf, warf den Stuhl um und blitzte ihn wütend an. »Mit Ihnen kann man nicht vernünftig reden!« schrie sie hell. »Jedes Wort ist vergeudet! Warum unterhalte ich mich mit Ihnen überhaupt über Ihr Schicksal?«
»Das wundert auch mich schon die ganze Zeit.« Dr. Rainherr goß sich Champagner ein. Er hatte jetzt wirklichen Durst. »Das widerspricht doch auch aller Piratensitte!
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