Geliebte Korsarin
Raus, Hals durchschneiden, erledigt! Ihre berühmten historischen Kollegen waren da rigoroser! Mary-Anne, prosit!«
»Ersticken Sie daran!« fauchte sie. »Morgen werden Sie froh sein, wenn man Ihnen Wasser über den Schädel schüttet. Fernando kennt alle Arten indianischer Quälereien.«
»Davon bin ich überzeugt. Aber noch ist heute, Mary-Anne, und ich bin ein Mensch, der mehr der Gegenwart lebt als der Zukunft. Und jegliche Vergangenheit lasse ich hinter mir, ohne mich noch einmal umzudrehen.«
Er kam um den Tisch und stützte sie. Ihre Schwäche nahm sichtbar zu, sie mußte sich an der Tischkante mit beiden Händen festklammern. Doch sie wollte ihre Schwäche um keinen Preis zugeben.
»Ich bringe Sie in die Koje«, sagte er.
»Ich kann allein gehen.«
»Und wenn's auf allen vieren ist! Mary-Anne, seien Sie doch nicht so störrisch!«
»Womöglich wollen Sie mich auch noch ausziehen …«
»Genau das! Aber explodieren Sie nicht gleich, Ihr Körper ist mir nicht unbekannt, und außerdem will ich mir die Wunde noch einmal ansehen. Kommen Sie …«
Sie biß die Zähne zusammen, hakte sich bei ihm ein und verließ den Salon. Nach den ersten zwei Schritten mußte sie sich eng an ihn lehnen, ihre Beine trugen sie einfach nicht mehr. Rainherr schleppte sie fast in die Schlafkajüte, hob sie dann hoch und legte sie vorsichtig auf das Bett.
»Der Reißverschluß ist hinten …«, murmelte sie.
»Ist mir bekannt. Sie sind nicht die erste Frau, die ich ausziehe!«
»Das glaube ich Ihnen blind und taub …«
Er zog sie aus. Unter dem Kleid trug sie nichts weiter als wieder nur ihren knappen Slip, ihre Brust brauchte keinen Halt. Aus halbgeschlossenen Augen beobachtete sie Rainherr, der den Verbandskasten vom Nachttisch heranzog und ihn aufklappte.
Die Beine hatte sie fest zusammengepreßt, nicht aus Angst, er könne die Situation ausnützen, sondern um das Beben der Innenseiten ihrer Schenkel abzuwürgen und ihm nicht zu zeigen.
Dr. Rainherr entfernte das Pflaster und die Mullstreifen. Er betrachtete die genähte Wunde. Sie sah gut aus. Keine alarmierenden Rötungen, keine Schwellungen, keinerlei Anzeichen einer Infektion. Ganz zart tippte er mit dem Zeigefinger auf die Naht, aber schon diese leichte Berührung durch seine Hand genügte, um über Mary-Annes Körper einen Schauer zu jagen. Ihre Zähne gruben sich in die Unterlippe, als er das Stethoskop nahm und sie abhorchte … die Lunge unter dem Einstich, ihr Herz. Er mußte dabei mit der Membrane um ihre Brüste tasten, es kostete sie eine große Überwindung, nicht laut zu seufzen.
»Alles okay?« fragte sie heiser, als er sich endlich aufrichtete.
»Alles! Sie haben die Verwundung erstaunlich gut verdaut. Die alte Weisheit bewahrheitet sich von neuem: Raubkatzen sind zäh!«
»Und die andere Weisheit aber auch: Ochsen bleiben Ochsen!«
»Was bleibt ihnen anderes übrig?« Er packte den Verbandskasten weg und erhob sich vom Bett. »Soll ich bei Ihnen Wache halten?«
»Schlafen kann ich wohl noch allein!«
»Es war nur ein Angebot …«
»Wo schlafen Sie denn?«
»Doch bei mir an Bord. Keine Angst, ich reiße nicht aus. Wir frühstücken morgen bestimmt zusammen …«
Er deckte sie wieder zu wie ein Kind, beugte sich über sie und gab ihr einen Kuß auf die Stirn.
Auf die Stirn, du arroganter Affe, dachte sie. Ist mein Mund nicht ebenso nah? Er behandelt mich wie ein kleines Mädchen mit langen Zöpfen! Du bist widerlich, Andreas, widerlich …
»Gute Nacht«, sagte sie leise.
»Gute Nacht, Mary-Anne.«
Er ging zur Tür und drehte sich dort noch einmal um. »Sie sind die wunderbarste Korsarin in der gesamten Geschichte der Piraterie! Dieser Tag hat mein ganzes Leben verändert …«
Trotz ihrer Schwäche und Müdigkeit lag sie noch eine Zeitlang wach und lauschte auf die vielfältigen Geräusche an Bord.
Juan und die Mitglieder ihrer Mannschaft räumten im Salon die festliche Tafel ab, über Deck tappten viele Füße, einmal hörte sie auch Andreas Rainherr sprechen und Jim McDonald Antwort geben.
Dann zerflossen alle Geräusche, es wurde still an Bord. Das Meer klatschte träge an die Schiffswand und ließ es sanft schaukeln.
Setz dich in deinen Kahn, Andreas, in deinen kleinen Anglerkahn, und versuche, die nächsten bewohnten Cays zu erreichen. Du kannst es schaffen … die nächsten Hütten sind nur 17 Meilen entfernt. Am Südzipfel der Turneffegruppe gibt es sogar einige Lodges. Vielleicht weißt du es sogar …? Warum fliehst du
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