Geliebte Korsarin
nicht? Andreas, du kennst Fernando nicht! Für ihn ist deine ganze Erscheinung schon ein Trompetensignal zum Angriff! Gegen ihn hast du keine Chance! Nimm das kleine Boot, bitte … Sei weg, weit weg von hier, wenn morgen in der Frühe die Sonne scheint …
Aber gleichzeitig wünschte sich Mary-Anne, daß er bliebe und es auf eine Kraftprobe mit Fernando Dalques ankommen ließ. Bis wir in Belize sind, dachte sie, bin ich wieder stark genug. Nicht Fernando ist der Chef … ich bin es! Fernando ist mein Teilhaber, aber die Firma gehört mir!
Die Firma! Wie das klingt …
Sie rutschte aus dem Bett und ging vorsichtig zu den verhangenen Luken. Sie schlug eine der Gardinen zurück und hatte nun einen freien Blick hinüber zu Rainherrs Yacht. Dunkel dümpelte sie in der schwachen Dünung. Nicht einmal Positionslichter hatten sie, wie es Pflicht war, gesetzt. Wozu auch? Hier in den Cays, mitten zwischen den mörderischen Korallenriffen, fuhr niemand nachts umher.
Sie blieb wie angewurzelt an der Luke stehen, bis sie ihre Beine kaum noch spürte und nach hinten zurück auf das Bett fiel. Kaum lag sie, schlief sie schon – aber den letzten Gedanken nahm sie noch mit in die Traumwelt: Andreas, flüchte … Ich habe Angst um dich …
Es gab keine Diskussion darüber. Dr. Andreas Rainherr blieb an Bord seiner Yacht, auch wenn Juan Noales den gleichen Vorschlag machte wie Mary-Anne in ihren Wachträumen.
»Chef, wir haben das Beiboot, wir kommen damit leicht bis zu der Turneffegruppe. Es kommt ein guter Wind auf, wir setzen das kleine Focksegel … bis zum Morgengrauen sind wir an den Lodges.«
»Ich weiß es, Juan, aber wir bleiben!« antwortete Rainherr. Er saß noch eine Weile in seinem Salon, trank einen Whisky mit viel Eis und überdachte seine Zukunft, was er eigentlich nie mehr hatte tun wollen. Juan Noales, mehr Vertrauter als einfacher Steuermann, saß ihm gegenüber und trank einen Fruchtsaft. Sein bedenkliches Gesicht war nicht zu übersehen.
»Die Kerle da drüben haben mir allerhand erzählt«, berichtete er. »So harmlos wie bei uns sind die sonst nicht! Die tragen bei ihren Kaperfahrten keine Handschuhe, Chef. Und dieser Fernando an Land muß ein besonderes Aas sein!«
»Darum möchte ich ihn gern kennenlernen, Juan.«
»Er ist uns überlegen, Chef.«
»Woher weißt du?«
»Wir kommen doch als Gefangene …«
»Mit der Pistole in der Hosentasche.«
»Sie werden uns vorher genau untersuchen. Und wenn wir uns noch einmal wehren, dann schießen sie uns mit ihrer Kanone auf Grund.«
»Wer sagt das?«
»McDonald.«
»Und du hast ihm trotzdem unser Souper zu essen gegeben, Juan?«
»Er ist auch ganz traurig über die Entwicklung. Er mag sie, Chef!«
»Wie ergreifend!«
»Aber Befehle muß er ausführen. Die Disziplin an Bord ist bei denen hart. Die Lady muß ein strenges Regiment führen.«
»Ja. Judo und Karate – ich weiß!«
»Und sie ist hübsch, Chef.«
Juan lächelte diskret.
»Das Kleid, das sie vorhin trug …«
»Hau dich in die Koje, Juan!« sagte Rainherr. »Dir wird nichts passieren. Du bleibst an Bord und wirst nach drei oder vier Tagen als Havarist offiziell abgeschleppt! Das ist alles schon besprochen.«
»Ich lasse Sie nicht allein, Chef! Das wissen Sie!«
Juan Noales stand auf.
Er war sehr ernst geworden.
»Ich habe Miss Annette versprechen müssen – ja, ich hab's auf die Bibel geschworen, daß ich Sie nie allein lassen werde.«
Annette! Sechzehn Jahre jung, blond wie die Mutter, noch ein wenig schlaksig in ihren ausgefransten Jeans und den Pullis oder T-Shirts, langbeinig, die Haare halblang und offen …
Und neben ihr immer Mr. Ben. So kannte man sie auf Cayman Brac; die ›Goldhaarige‹, wie die Eingeborenen sie blumig nannten. Und Mr. Ben war der beste Beschützer, den es gab. Solange er neben ihr ging, war sie vor allen Belästigungen sicher. Selbst hartgesottene Seeleute gingen Mr. Ben aus dem Weg …
Mr. Ben war ein deutscher Schäferhund.
Annette, seine Tochter. So, so, sie hatte Juan auf die Bibel schwören lassen. Das war typisch für sie. Jetzt kam Juan nicht nur mit seinem Gewissen in Konflikt, sondern auch noch mit Gott.
»Mir wird nichts passieren, Juan!« sagte Rainherr und trank seinen Whisky aus. Er winkte ab, als Juan erneut zur Flasche griff. »Du kannst beruhigt an Bord bleiben.«
»Sie glauben, weil die Lady – Sie liebt?«
»Was für einen Blödsinn redest du da!«
»Sie liebt Sie, Chef. Drüben an Bord sind die Männer alle ganz verstört!
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