Geliebte Korsarin
Problem«, sagte Dr. Casillas sehr ernst.
»Auch für Sie, Doktor?«
»Als Jurist sehe ich noch viel klarer, welch ungeheurer Irrsinn es war, Sie nicht nur zu überfallen – vor der Haustür gewissermaßen –, sondern Sie auch noch leben zu lassen und mit hierherzuschleppen!«
»Zum Teufel! Ja, ich weiß es!« schrie Mary-Anne. »Ich habe es eingesehen. Aber ich kann es nicht mehr ändern.«
»Auf keinen Fall, wenn Sie ab morgen die roten Nadelpunkte abfahren und neue Schiffe kapern.«
»Soll ich in ein Kloster eintreten?« rief Mary-Anne spöttisch. »Ich habe – wie Sie! – eine Firma, eine Verantwortung. Auch von uns leben vierunddreißig Familien. Sie wären auf einen Schlag arbeitslos, die Ärmsten der Armen in einem solchen Land wie Belize. Als ich anfing, hatte ich nicht viel in der Tasche. Aber damit habe ich mein Geschäft aufgebaut!«
»Und Sie, Don Fernando?«
»Ich hatte etwas mehr Startkapital. Ich war immerhin ein erfolgreicher Taschendieb …«
Fernando Dalques grinste breit. Je mehr Dr. Rainherr erfuhr, um so klarer wurde ihm, daß er verschwinden würde. Es gibt so etwas wie zwingende Notwendigkeiten …
»Ihre Offenheit stimmt mich nachdenklich«, sagte Rainherr denn auch. »Hat man endlich über mich entschieden?«
»Sie werden leider zu denen gehören, die in der Karibik verschollen sind.«
»Aha!«
»Man wird das hinnehmen. Nicht nur im Bermudadreieck verschwinden Flugzeuge und Schiffe – auch in der karibischen See gibt es solche Phänomene.« Dr. Casillas hatte es nun übernommen, die Zukunft Dr. Rainherrs darzulegen. »Es ist der eleganteste Weg. Töten dürfen wir Sie nicht, also bleibt nur das Verschollenenschicksal. Sie werden noch einen letzten Funkspruch an Ihre Tochter absetzen, in dem Sie ihr mitteilen, daß Sie auf der Rückfahrt zu den Caymans sind … und dann verschwinden Sie spurlos im Meer. Glaubhafter geht es kaum.«
»Aus Ihrer Sicht, Dr. Casillas.«
Dr. Rainherr drehte sich zu Mary-Anne um, die bewegungslos vor der Landkarte stand und bisher in das Gespräch nicht eingegriffen hatte. Er sah ihrem Gesicht die Ratlosigkeit an.
»Ich denke an meine Tochter Annette … Haben Sie eigentlich Kinder, Doktor?«
»Sechs«, erwiderte Casillas stolz. »Vier Jungens, zwei Mädchen.«
»Wie wäre denen wohl zumute, wenn man ihnen mitteilte, daß ihr Vater auf See verschollen ist …?«
»So können Sie nicht argumentieren!« rief Dr. Casillas. »Sie sind ein Beutestück, über das wir frei verfügen können!«
»Bitte!« Dr. Rainherr machte eine weite Handbewegung. »Dann tun Sie es, meine Herren. Ich kenne die Pläne der Piratenlady nicht.«
Er stand auf und blickte an sich herunter. Seine Hosenbeine waren noch rot von Lubas Blut.
»Darf ich darum bitten, daß man mir andere Kleidungsstücke besorgt? Ich bin zwar nicht zimperlich, aber fremdes Blut auf meiner Hose stört mich.«
»Wir werden Ihnen eine Hose Ihres Boys geben, bis Ihr Schiff eingeholt ist«, sagte Dalques.
»Mein schwarzer Meisterboxer?«
»Wir konnten im Augenblick nichts Besseres auftreiben …«
»Ich kann natürlich auch in der Badehose herumlaufen. Schließlich hat mich die liebe Korsarin ja auch so kennengelernt!«
»Macht mit ihm, was ihr wollt!« rief Mary-Anne wütend. Sie ging an Rainherr vorbei und warf beim Gehen ihr langes schwarzes Haar über ihr Gesicht. »Ich will ihn nicht mehr sehen …«
»Das war deutlich!« Dr. Casillas wartete ab, bis die Tür hinter ihr zugefallen war. »Wenn das so ist, warum hat sie Ihnen denn das Leben gerettet und Pedro erschossen?«
»Eine gute Frage, Doktor!«
Auch Dr. Rainherr starrte auf die zugefallene Tür. »Frauen und Katzen haben eines gemeinsam: sie sind unberechenbar …«
Drei Tage blieb Andreas Rainherr in seinem feudalen Gefängnis. Er konnte sich frei bewegen, schwamm oft in seinem kleinen Pool, wurde von dem ausgedienten Negerboxer rührend bedient und durfte sogar die in Belize erscheinende Zeitung lesen. Er erfuhr zu seinem Erstaunen, daß selbst in dieser weltvergessenen Gegend parteipolitische Streitereien das tägliche Leben beherrschten.
Dabei waren die Leute von Belize von Natur aus freundliche Menschen. Menschen, denen die Sonne das Gemüt vergoldet hat, wie überall in der Karibik die Lebensfreude zunächst das Wichtigste ist: Singen, Tanzen und Lieben stehen obenan, dann kommt der Rum und später erst das, was man mit dem Begriff Arbeit umschreibt.
Seitdem die Touristen die karibische See als befahrbares Paradies
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