Geliebte Kurtisane
mit mir zu haben. Ich bin keine vierzehn mehr. Ich habe überlebt. Ich habe gelebt. Ich habe nur getan, was getan werden musste. Und es hätte schlimmer kommen können.“
„Noch schlimmer?“
„Er hätte mich nicht mit nach London zu nehmen brauchen“, erwiderte sie schlicht. „Ich hätte in den Fängen einer Madame landen können, in einem Bordell. Ich war erst vierzehn, Mark, als ich fortging, doch gleich in meiner ersten Woche in London lernte ich Amalie kennen. Sie hatte seit fünf Jahren denselben Gönner, sie hat mich gelehrt zurechtzukommen und mich vor den schlimmsten Fehlern bewahrt. Du brauchst kein Mitleid mit mir zu haben, Mark. Ich habe überlebt.“
„Hör auf, nur zu überleben . Heirate mich. Vergiss all diese …“
Sie lehnte sich an ihn, legte ihre Finger an seine Lippen und schnitt ihm das Wort ab. „Nein, nicht. Das Wichtigste, was Amalie mich gelehrt hat, war, zu unterscheiden, wann man bleiben kann und wann man besser geht.“
„Du willst mich verlassen?“ Mark spürte, wie sich etwas Unheilvolles in seiner Brust zusammenbraute. „Kommt gar nicht infrage.“
„Das Schlimmste weißt du noch gar nicht“, sagte sie leise. „Da ist noch etwas. Etwas, das ich dir nicht erzählt habe.“
„Schlimmer, als mit vierzehn vom eigenen Vater auf die Straße geworfen zu werden?“
Als sie nichts erwiderte, schloss er sie in seine Arme und zog sie an sich. Er spürte das leise Zittern ihrer Hände, aber sie stieß ihn nicht von sich. Und wie er sie so hielt, ihr Haar streichelte, ließ sie sich gegen ihn sinken. Doch selbst jetzt wich die Anspannung nicht von ihr.
„Es geschah vor einigen Monaten, als ich herausfand, dass ich schwanger war.“
Er zuckte kurz zusammen, und sie verstummte. Ihr Atem ging schneller, seiner ebenso.
Nach einer Weile fuhr sie fort: „Natürlich hatte ich Vorkehrungen getroffen, aber nichts ist jemals wirklich sicher. Bis mir klar wurde, was mit mir los war und ich es meinem … meinem Gönner sagte, vergingen etliche Monate.“
Mark brachte kein Wort heraus, der Hals war ihm wie zugeschnürt. „Hat er dich verstoßen?“
„Nein.“ Jessica schluckte schwer. „Er war sogar sehr nett zu mir. Ich dachte es wenigstens. Er versicherte mir, sich darum zu kümmern, ich bräuchte mir keine Sorgen zu machen. Ich dachte … ich dachte, er meint …“
Wieder schwieg sie eine Weile. Wahrscheinlich hatte sie gedacht, dass er für sie sorgen werde. Für sie und das Kind.
„Als ich ihn das nächste Mal sah“, fuhr sie schließlich fort, „bot er mir Tee an – eine spezielle Mischung, wie er sagte, die ganz nach seinen Wünschen zusammengestellt worden sei. Ich solle davon probieren und ihm sagen, was ich davon halte. Es sei ein aromatisierter Tee, eine Neuheit, die man nur bestimmten, ausgewählten Kunden zukommen lasse.“
Mark konnte nichts sagen, konnte sie einfach nur in seinen Armen halten.
„In der Mischung waren nicht nur Teeblätter, sondern auch Flohkraut und Bischofskraut und was der Apothekerschrank nicht noch alles hergab. Ein bitteres Gebräu, mit Milch und Zucker versüßt. Ich hatte keine Ahnung, was in der Kanne war. Mein Gönner meinte, er möge es. Und so trank ich es – einfach aus Höflichkeit. Höflichkeit ist unser oberstes Gebot.“
Mark befürchtete Schlimmes, wusste vor Entsetzen aber kaum noch, was er denken sollte.
„Ich hatte ja keine Ahnung“, fuhr sie fort. Und diesmal hörte er, wie sie mit den Tränen kämpfte. „Ich wusste nicht, was er alles in den Tee hineingetan hatte.“
„Was wollte er denn damit …“ Doch eigentlich mutmaßte er es bereits.
„Die Mischung löst bei einer Frau Blutungen aus“, erklärte sie. „Nimmt man ausreichende Mengen zu sich …“
Er spürte jetzt ihre Tränen an seiner Schulter. Und wenn er ehrlich war, so standen auch ihm Tränen in den Augen. Es juckte ihn in den Fingern, sich diesen Schuft – ihren Gönner , wie sie ihn nannte – mal so richtig zur Brust zu nehmen. Fest hielt er sie in seinen Armen, er wagte nicht, sie loszulassen.
„Später meinte er, er habe nicht gewusst, wie stark man es dosieren musste. Um ganz sicherzugehen, hätte er die Empfehlung des Apothekers verdreifacht. An jenem Abend setzten bei mir Blutungen ein, die nicht mehr aufhörten. Es floss einfach nur so aus mir heraus. Ich wäre fast gestorben. Als dann der Arzt kam, um mich zu untersuchen, und erfuhr, welche Dosis ich erhalten hatte …“ Sie verstummte. „Es war ein guter Arzt. Er wird von
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