Geliebte Kurtisane
es mein größter Wunsch, nie wieder meinen Körper verkaufen zu müssen – nicht gerade ein Traum aus Kindertagen.“
„Und ich? Entspreche auch ich nicht deinen Träumen aus Kindertagen?“
„Doch … durchaus. Ich dachte immer, dass ich eines Tages heiraten würde. Eines Tages würde dieser wunderbare, perfekte Mann kommen und um meine Hand anhalten. Wir würden in der Kirche meines Vaters das Aufgebot bestellen, und drei Wochen später stünden wir vor dem Traualtar.“ Sie verstummte und schüttelte den Kopf.
Ihre Fingernägel gruben sich in seine Hand.
„Stimmt“, sagte Mark betont beiläufig. „Dein Vater ist ja Pfarrer.“
„Er war sehr streng, sehr … altmodisch. Wahrscheinlich wusste er selbst nicht, wie ihm geschah, als er drei so schöne Töchter bekam. Meine Mutter war wohl auch hübsch, aber wir … nun, wir zogen alle Blicke auf uns, man drehte sich auf der Straße nach uns um. Damit wusste mein Vater nicht umzugehen.“ Leicht belustigt schüttelte sie den Kopf. „Zudem war ich kein einfaches Kind, und nicht erst, seit ich mich ruiniert hatte.“
„War er wütend, als es passiert war?“
„Wütend? Nein, ich glaube, er hatte einfach nur Angst. Er war kein vermögender Mann. Ein armer Pfarrer mit drei schönen Töchtern muss sich in Acht nehmen. Jedes Fehlverhalten gibt Anlass zu Gerede. Nur der Hauch eines Makels, es würde nicht nur meinen Ruf ruinieren, es würde auch auf meine Schwestern zurückfallen und ihre Aussichten gleich mit ruinieren. Und wie stünde mein Vater dann da?“
„Gab es denn viel Gerede?“
„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nur Mitgefühl.“
Fragend runzelte er die Stirn.
„Niemand hat je davon erfahren. Mein Vater warf mich aus dem Haus. Er ließ verbreiten, ich sei krank geworden und hielte mich bei Verwandten in Bath auf. Nach einem Monat hieß es dann, ich wäre gestorben.“
Ihm stockte der Atem. „O Jessica.“
Neulich erst hatte er gedacht, wie glücklich er war, seine Brüder zu haben. Nie war er sich so reich vorgekommen wie jetzt, nie so dankbar gewesen für alles, was er hatte. Er legte seine Hand auf ihre Schulter.
„Nein, nicht. Es braucht dir nicht leidzutun. Der Schmerz ist längst vorüber.“
Das glaubte er ihr nicht, kein Wort.
„Und er hatte recht“, fuhr Jessica fort. „Er hatte recht, als er mich ermahnte, meinen Ruf nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Er hatte recht, als er mir sagte, ich solle nicht allein mit einem Mann ausfahren. Und er hat recht daran getan, mich aus dem Haus zu werfen und mich zu verleugnen. Ich wurde als Jessica Carlisle geboren, doch danach nannte ich mich Jessica Farleigh. An dem Tag, da ich meine Familie verlor, hatte ich auch das Recht auf meinen Familiennamen verspielt.“
Das Schweigen, das folgte, zehrte an ihm, brannte sich wie Säure in ihn, bis er es nicht länger aushielt.
„Dein Vater. Er war der erste Mann, der dich ruiniert hat.“ Er grub ihr seine Finger in die Schultern, als er sprach. „Und als du es mir endlich gestanden hattest, habe auch ich dich verlassen. Jessica, hat jemals jemand zu dir gehalten?“
„Meine Schwestern.“ Es war kaum mehr als ein Flüstern. „Charlotte und Ellen.“ Jessica lächelte. „Wir haben uns so gut verstanden. Sie hätten wohl jedes Opfer für mich gebracht, aber ich wusste auch …“ Sie verstummte jäh. „Vielleicht tut es ja doch noch ein wenig weh.“
Sie atmete tief durch, als versuche sie mit jedem Atemzug, die Tränen zurückzuhalten.
„Ich schicke meinem Vater Briefe“, fuhr sie fort. „Damit er weiß, dass ich lebe und es mir gut geht. Aber ich habe seit sieben Jahren kein Wort von meiner Familie gehört. Jedes Jahr sehe ich im Kirchenregister nach, nur um mich zu vergewissern, dass sie noch immer in Watford leben und meine Post sie erreicht.“
Sieben Jahre. Mark versuchte sich das vorzustellen, versuchte sich auszumalen, auch nur für ein paar Wochen von seinen Brüdern getrennt zu sein, kein Wort von ihnen zu hören. Es überstieg seine Vorstellung. Selbst als er und Smite drei Monate auf den Straßen von Bristol gelebt hatten, war sein Bruder immer bei ihm gewesen, hatte alles unternommen, um ihn zu beschützen. Er konnte sich nicht vorstellen, jemals ohne seine Brüder zu sein. Zeit seines Lebens war er nie wirklich allein gewesen.
„O Jessica.“
Sie schlug ihm auf die Schulter – nicht fest, aber so, dass sie seiner Aufmerksamkeit gewiss war. „Sieh mich an, Mark. Sieh mich an, und hör auf, Mitleid
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