Geliebte Kurtisane
Gerechtigkeit hatte ihn zu ihr getrieben. Auch nicht bloße Neugier. Nicht einmal primitive Lust. Nein, er wusste nicht recht, wie er es nennen sollte. Nur eines wusste er, spürte es im leisen Aufruhr seines Inneren.
Er hatte ein Problem.
Und hatte seinen Spaß daran.
„Sir Mark“, sagte sie. „Wie nett von Ihnen, mir Gesellschaft zu leisten.“
Sie schien jedes Wort abzuwägen, als fürchte sie, er sei gekommen, um sie vollends zu vertreiben.
„Deswegen bin ich nicht hier.“
Sie reckte ihr Kinn. „Sie sollen beenden, was die Damen begonnen haben.“
Mark löste einen Manschettenknopf und steckte ihn in seine Rocktasche. „Miss Lewis sagte mir, dass alle Männer auf Ihr Dekolleté schauen.“
Sie machte keine Anstalten, sich zu bedecken. „Tun sie das?“, fragte sie. „Alle?“
Er steckte auch den zweiten Manschettenknopf ein. „Das weiß ich nicht. Für alle Männer kann ich nicht sprechen.“
„Und für Sie selbst?“
Statt einer Antwort begann er seinen Rock aufzuknöpfen. Mit angehaltenem Atem sah sie ihm zu, wie er einen Knopf nach dem anderen öffnete. Er streifte erst den einen Ärmel ab, dann den anderen, spürte den Wind unter sein Hemd fahren. Hinter sich hörte er entrüstetes Getuschel. Sollten sie doch reden. Ihm war es völlig gleich. Seelenruhig zog er seine Jacke aus, reichte sie ihr dann, ohne den Blick von ihr zu nehmen.
„Hier, ziehen Sie das an.“
Sie blickte auf seinen Rock, machte indes keine Anstalten, ihn an sich zu nehmen. „Oh, Sir Mark, das ist sehr galant von Ihnen, doch mir ist kein bisschen kalt.“
Sichtlich um Geduld bemüht, sah er sie an. „Ich dachte, wir seien über das Stadium hinaus, da Sie sich dumm stellen.“ Er beugte sich über sie. „Sie wissen, warum ich will, dass Sie sich bedecken.“
Sie hob gleichmütig die Schultern, was allerlei interessante Dinge mit ihrem Dekolleté anstellte. „Und ich dachte, Sie würden Ihre eigenen Lektionen befolgen. Dreizehntes KAPITEL, wenn ich mich recht entsinne? Dort schreiben Sie, dass ein Mann für sein eigenes Verlangen einstehen muss und nicht der Frau die Schuld daran geben soll. Es ist nur ein Kleid, Sir Mark – und nicht einmal eines meiner gewagteren. Aber Sie sollten mal Ihren Blick sehen. Sie schauen, als wäre es eine Natter, die sich auf Ihre Tugend stürzen will. Nicht mein Kleid ist das Problem, Sir Mark – oder sollte die Lektüre Ihrer praktischen Anweisungen mein Verständnis überstiegen haben?“
„Da wären Sie nicht die Erste“, beschied er trocken. „Niemand hat mein Buch verstanden. Die praktischen Anweisungen hätte ich mir sparen können.“
„Sind Sie denn kein bisschen in Versuchung?“ Fragend sah sie ihn an. Wieder fiel ihm dieser merkwürdige Widerspruch auf. Es schien, als sei sie selbst nicht sicher, welche Antwort sie sich darauf wünschte. Als wolle sie, dass er sie wollte, und wollte ihn doch von sich weisen.
Er war in Versuchung. Letztlich war es ihr Zögern, das ihn seinen Rock loslassen, ihn neben sie auf die Decke fallen ließ. „Nicht um meiner Versuchung zu begegnen will ich, dass Sie sich bedecken.“ Und dann – er wusste selbst nicht, weshalb – senkte er die Stimme zu einem Flüstern. „Mehr Kleider würden nichts daran ändern. Wie sollte ich den Anblick Ihrer Haut, Ihrer Rundungen vergessen? Wenn ich heute Nacht zu Bett gehe, werde ich nichts anderes sehen.“
Sie hatte die Hand nach seinem Rock ausgestreckt, doch das ließ sie innehalten. Ihre Augen weiteten sich.
„Nein“, fuhr er fort, „ich will meine Sünden nicht von mir weisen, ich kann sie mir nur eingestehen.“
„Sünden?“, wiederholte sie entgeistert.
„Wir hatten schon über meine Sünden gesprochen, Mrs Farleigh. Habgier. Begehrlichkeit. Eigennutz. Und noch eines.“ Er beugte sich tiefer über sie. „Ich teile nicht gern.“
„Aber ich … wir …“ Sie senkte den Blick.
„Dass ich unberührt bin, heißt nicht, dass ich meine nächtlichen Fantasien gern mit anderen teilen würde.“
Sie atmete tief aus. „Wären es nicht Sie, sondern ein anderer Mann“, sagte sie, „so würde ich meinen, Sie drohten mir, mich zu verführen.“
„Schlimmer.“ Er neigte sich so nah, dass er ihr leise ins Ohr flüstern konnte. „Ich drohe damit, Sie zu mögen . Wenngleich Verführung Ihnen zugänglicher sein dürfte.“
Ein feines Lächeln spielte um ihre Lippen. „Sir Mark, Sie brauchen nicht gleich mit etwas so Drastischem zu drohen. Bloße Akzeptanz dürfte schockierend
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