Geliebte Kurtisane
weißen Sporen. Als sie den Stiel brach, lösten sich einige der kleinen Flugschirmchen und wehten davon.
Noch immer lächelte er sie an, ein strahlendes Lächeln, so hell und blendend wie die Sonne.
Sie hob den Löwenzahn an den Mund und pustete. Die kleinen weißen Schirmchen flogen auf und schienen vom Wind in seine Richtung getragen. Aber vielleicht bildete sie sich das nur ein. Viel zu rasch waren sie davon, als dass sie ihrem Weg hätte folgen können. Und kein Wind der Welt könnte sie über die halbe Wiese tragen.
Doch wie zur Erwiderung hob er mit ein Mal die Hand, schloss langsam die Finger, als fange er etwas Unsichtbares aus der Luft.
6. KAPITEL
H aben Sie mich denn nicht gesehen, Sir Mark?“, wollte James Tolliver wissen.
Mark riss sich vom Anblick Mrs Farleighs und ihrer liebreizenden Gestalt los und wandte sich dem schlaksigen Jungen zu, der aufgeregt neben ihm stand.
„Entschuldigen Sie, Tolliver. Wollten Sie etwas von mir? Ich war in Gedanken …“ Anderswo, seufzte er still und verlor sich in Erinnerungen an Mrs Farleighs rotes Kleid, die über die Decke drapierten seidenen Röcke. Das dunkle Karmesinrot hatte ihr perfekt zu Gesicht gestanden. Aber nicht kühler Alabasterteint lockte ihn, sondern das Feuer, das er darunter spürte. Lockend und gefährlich. Bienen summten um ihn her, brummten ihm in den Ohren. „Ich war in Gedanken anderswo“, sagte er dann und wandte sich nun ganz dem jungen Mann zu. „Ich bin abgeschweift.“
„Ich meinte nicht jetzt, sondern bevor Sie zu Mrs Farleigh gegangen sind. Ich hatte Ihnen das Signal gegeben.“ Tolliver hob die Hand, den Daumen gegen die beiden mittleren Finger gedrückt, und drehte sie ein wenig nach außen.
„Welches Signal?“
„ Das Signal“, verbesserte Tolliver.
Leicht befremdet blickte Mark auf die Hand des Jungen. Wie er seinen kleinen Finger so spreizte, sah sie aus wie ein Hündchen mit gespitzten Ohren.
Tolliver hob die Hand an die blaue Kokarde, warf einen Blick, aus dem aller Argwohn dieser Welt sprach, auf die Frauen ringsum und senkte die Stimme. „Sie wissen schon – das Signal!“
„Ich kenne das Signal nicht“, erwiderte Mark, ohne die Stimme zu senken.
Tolliver wurde rot und sah sich verstohlen um. „Schsch! Wollen Sie denn, dass sie uns hören?“
„Ich wusste nicht, dass wir uns auf Feindesland befinden. Wer genau sind jene sie , die wir fürchten?“
Wieder machte Tolliver das Signal und deutete nachdrücklich auf seine Hand. „Oder mache ich es nicht richtig? Es bedeutet: Achtung – gefährliche Frau voraus!“
Mark zählte ganz langsam bis drei. Eins … zwei … drei …
„Tolliver“, sagte er schließlich. „Wo haben Sie dieses Signal gelernt?“
„Es stand im Pamphlet zur Einführung für Jungen in die BMK von Jedidiah Pruwett, das ich …“
„Ein Pamphlet?“
„Ja, es wurde in der Zeitung inseriert! Schicken Sie einen Shilling an …“ Tolliver verstummte und sah Mark mit bangem Blick an. Mag sein, dass die geballten Hände, die zusammengebissenen Zähne Marks Verdruss verrieten.
„Das … das war nicht von Ihnen?“
„Nein.“
Als Mark die Rechte an seinem Buch einem Verleger überlassen hatte, war ihm wenig an Profit gelegen gewesen. Philosophische Schriften verkauften sich selten gut. Zudem war er auf das Geld nicht angewiesen. Der Verleger hatte ihm zwanzig Pfund gezahlt und im Gegenzug alle Rechte an dem Werk erhalten. Mark hatte geglaubt, nur deshalb so viel bekommen zu haben, weil sein Bruder ein Duke war. Besagter Bruder hatte ihn überzeugen wollen, wenigstens eine Beteiligung auszuhandeln, aber Mark hatte das Brevier einfach nur gedruckt sehen wollen; Geld war ihm nicht wichtig. Die zwanzig Pfund hatte er wohltätigen Zwecken gespendet und darüber keine weiteren Gedanken verloren.
Es hatte ihm auch nichts ausgemacht, als er hörte, dass sein Buch in die dritte Auflage ging – oder später in die zwölfte. Doch dann kamen die Sonderausgaben dazu. Erst die illustrierte Ausgabe, kurz darauf gefolgt von der Edition Ihrer Majestät – exklusiv gedruckt für Königin Victoria und in farblich auf ihre Lieblingsfarbe abgestimmtem Leder gebunden. Die Blumen-Edition. Die biografische Edition – mit kleinen Holzschnitten, die unter anderem Parford Manor zeigten sowie Marks Zimmer in Oxford und seines Bruders Londoner Stadthaus. Ganz zu schweigen von der berüchtigten Taschenausgabe.
Mark würde es nicht wundern, wenn sein Verleger schon eine Wald-und-Wiesen-Edition in
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