Geliebte Kurtisane
Dekolleté zeigen sollte.
„Oh nein!“, könnte Mrs Finney daraufhin erwidern, als sie nach Mrs Farleighs Ellbogen griff. „Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, Sir Mark mit meiner dreizehnjährigen Tochter bekannt zu machen. Eine richtige Frau kommt uns nicht in seine Nähe – nachher interessiert er sich für sie! Das müssen Sie einsehen, Mrs Farleigh.“
Die kleine Truppe entfernte sich etwas weiter, vertrieb dabei auch die wütend gackernden Hennen. Mrs Farleigh hatte eine Hand an die Hüfte gelegt und wurde von Mrs Lewis mit einem Lächeln bedacht, das Mark selbst von fern als falsch erkennen konnte. Die Frauen nickten einvernehmlich, schüttelten dann die Köpfe und ließen Mrs Farleigh schließlich am anderen Ende der Wiese zurück, wo nur die Hühner ihr Gesellschaft leisteten.
Sie sah ihnen nach. Weder schüttelte die den Kopf, noch seufzte sie, nicht einmal ein Achselzucken war es ihr wert. Sie holte eine Decke aus ihrem Korb, breitete sie aus und ließ sich nicht von den Hühnern stören, die um sie herum im Gras pickten.
Auf dem Weg zurück rieb Mrs Lewis, Frau des Pfarrers, sich zufrieden die Hände.
Besagte Unterhaltung hatte Mark sich nur zur eigenen Belustigung ausgemalt, aber den rechtschaffenen Mienen nach zu urteilen – und der betonten Gleichgültigkeit der ihren – konnte die Unterredung für Mrs Farleigh keineswegs erfreulich gewesen sein.
Als die Frauen ihre Plätze neben ihm wieder einnahmen, plapperten sie munter weiter, als wäre nichts gewesen.
Unglaublich. Hatte auch nur eine von ihnen sein Brevier gelesen?
Vielleicht war das der Grund, weshalb er sich nun an Mrs Lewis wandte, die geschäftig an der Haube ihrer Tochter herumzupfte. Mrs Lewis war eine Pfarrersfrau, wie sie im Buche stand, bieder und rechtschaffen, und Mark schnappte ein paar Worte über die feine Haut junger Damen und die Sonne auf, während sie ihrer Tochter die breite Hutkrempe zurechtrückte.
Er wollte ihre kleine, heile Welt mal ein wenig durcheinanderbringen.
„Mrs Lewis.“
Sogleich ließ diese von den Hutbändern ihrer Tochter ab. Stille senkte sich über die schnatternde Schar, alle hingen an seinen Lippen. „Warum sitzt Mrs Farleigh dort drüben bei den Hühnern?“
Zwölf große Augenpaare waren auf ihn gerichtet.
Der junge James Tolliver stieß einen erstickten Laut aus und gestikulierte hilflos.
Auch Mrs Lewis verschlug es beinah die Sprache. „Sie … nun ja … Wissen Sie denn nicht, was man sich erzählt?“
„Ich habe Andeutungen gehört“, sagte er vorsichtig. „Ein paar Kleider gesehen, doch nichts, was nicht der Mode entspräche.“ Sie kleidete sich ansprechend – aufreizend wohl für ländliche Maßstäbe. In London gälte derlei nur als wenig gewagt.
Alle Blicke wandten sich kurz Mrs Farleigh zu, kehrten dann zu Mark zurück.
„Es ist … es ist … Sir Mark.“ Die Pfarrersfrau rang sichtlich mit sich. „Also nein, wirklich. Mag sein, dass so etwas in London geduldet wird, aber wir sind gute, anständige Menschen hier.“
„Was genau meinen Sie denn mit so etwas ?“
Mrs Lewis wurde rot. Aber da meldete sich schon Miss Lewis unter ihrer Hutkrempe zu Wort. „Ihr Dekolleté“, sagte sie und zeigte an sich selbst, was sie meinte. „Wäre es hier und nicht da …“
„Dinah!“
„Was denn?“, fragte Dinah. „Ich weiß, worauf die Männer schauen. Und wenn du mir nicht immer diese grässlichen Spitzen …“
„Bist du wohl still“, fuhr Mrs Lewis sie an, warf Mark einen entschuldigenden Blick zu und lächelte tapfer. „Nachher denken die Leute, du meinst das ernst.“
„Nun, wenn es nur das Dekolleté ist …“, hörte Mark sich sagen. „Das sollte sich doch beheben lassen.“ Und noch ehe man ihn zurückhalten konnte, war er aufgestanden und marschierte über die Wiese, das leise Gemurmel mit jedem Schritt weiter hinter sich lassend. Als kein Zweifel mehr sein konnte, dass Sir Mark, ihr Ehrengast, sich Mrs Jessica Farleigh, der in Ungnade Gefallenen, näherte, verstummte es ganz. Dafür gackerten die Hühner umso lauter.
Vor ihrer Decke blieb er stehen.
Langsam sah sie zu ihm auf. Vor drei Tagen hatte er sie bis auf Chemise und Korsett entblößt gesehen, nun schien sie ihm verlockender.
Vielleicht lag es an der Sonne, die ihr dunkles Haar zum Schimmern brachte. Vielleicht waren es ihre Augen, die sich weiteten, als sie ihren Blick an ihm hinaufwandern ließ.
Bis ihre Blicke sich trafen, war Mark sich eines gewiss: Nicht allein sein Sinn für
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