Geliebte Kurtisane
Komplimente über ihre Schönheit gemacht, und es hatte sie nicht gerührt. Gedichte waren verfasst worden über den Liebreiz ihrer Stimme, doch es hatte sie kaltgelassen. Nun genügte ein Gedanke an Mark, wie er mit von Verlangen rauer Stimme sagte, sie könne es besser … und schon war es um sie geschehen.
Zum ersten Mal seit Jahren hatte sie Gefallen daran gefunden, von einem Mann geküsst zu werden. Und genau darin lag die Gefahr.
Wenn Sie nicht zu viel nachdachte, würde sie es wohl schaffen, ihn zu verführen. Wenn sie sich einfach einer sinnlichen Laune hingab, wie sie ihr im Blute lag. Aber würde sie es über sich bringen, sich danach abzuwenden und ihn, kalt und herzlos, an Weston zu verraten?
Um zu überleben, hatte sie so manches getan, was sie lieber nicht gemacht hätte. Sie würde auch das schaffen. Zumal ihr kaum eine andere Wahl blieb. Sie brauchte sich einfach nur dem Rausch gegenseitiger Anziehung zu überlassen, und es würde in einem solchen Moment auch nicht schwer sein, sich fallen zu lassen. Er machte es ihr leicht. Sie schätzte, respektierte ihn gar … Und dann, wenn sie sich nach seiner Berührung sehnte und es kaum ertragen könnte, ihm wehzutun, müsste sie ihn verraten. Ganz einfach eigentlich.
Selten war ihr so elend gewesen.
Mit einem tiefen Seufzer atmete sie durch, wartete, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte, und machte sich auf den Weg.
Als sie nach dem Schießwettbewerb noch das Postamt betrat, wartete wieder ein Brief ihres Anwalts auf sie. Der Umschlag wog schwer in ihrer Hand, schwerer als sonst. Sowie sie sich allein wähnte, riss sie ihn auf.
Das erste Blatt war nur ein kurzes Anschreiben, nachgereichte Rechnungen und eine aktuelle Übersicht ihrer Finanzen. An die Summe, um die es ging, wollte sie jetzt nicht denken. Hastig blätterte sie weiter.
Abermals war ein Brief von Weston beigelegt, eigentlich nur eine knappe Notiz, in der er sie aufforderte, ihn auf dem Laufenden zu halten. Rasch wandte sie sich dem letzten Blatt zu.
Es war dicht beschrieben, alles in der säuberlichen Handschrift ihres Anwalts. Sie runzelte die Stirn und begann zu lesen, während sie langsam weiterging.
Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen …
Mitten auf dem Weg verharrte sie, blieb wie angewurzelt stehen.
Sie las weiter. Ihre Hände zitterten nicht, ihre Füße bewegten sich wie von selbst weiter, ihre Augen konnten sich nicht lösen von den Worten, die ihr so unmöglich schienen.
Das einzig Gute in Jessicas Leben – es war ihr genommen worden, während sie hier in Shepton Mallet mit Sir Mark flirtete. Und sie hatte sich nicht einmal verabschieden können.
Sie hätte weinen sollen, doch ihre Augen waren trocken. Tränen würden auch nichts ändern.
Amalie hatte Jessica gelehrt, eine perfekte Kurtisane zu sein. Sie hatte sie in allen Regeln und Gepflogenheiten unterwiesen. Wie seltsam, dass ihr jetzt ausgerechnet diese Sätze von ihr in den Sinn kamen:
Traue keinem Mann, der dir Diamanten schenkt; wofür er sich entschuldigen will, ist sämtlicher Schmuck nicht wert.
Jeder neue Mann ist ein Risiko; lieber einen Mann von bescheidenen Mitteln halten, der zwei Jahre bleibt, als einen reichen Gönner, der dich nach nur einem Monat verlässt.
Und das Wichtigste: Jede Kurtisane braucht eine Freundin. Ohne sie können wir nicht überleben .
Während der letzten sieben Jahre war Amalie ihr diese Freundin gewesen. Amalie hatte den Platz von Jessicas Schwestern eingenommen. Sie hatte Wärme und Beständigkeit in Jessicas Leben gebracht.
Doch Amalie war jetzt nicht bei ihr – sie war überhaupt nicht mehr. Und keiner ihrer Ratschläge könnte Jessica je über diesen Verlust hinweghelfen.
Nicht denken. Handeln. Das war kein Rat von Amalie, es war, was Jessica Sir Mark geraten hatte. Wie lang schien das auf einmal her! Auf dem Absatz machte sie kehrt, ging den Weg zurück, den sie gekommen war. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt, sie rang nach Atem. Morgen mochte es ihr als ein Fehler scheinen, aber heute … Heute brauchte sie ganz einfach einen Freund.
Es war ein Fehler gewesen.
Das war Marks einziger Gedanke, als er sich nach dem Wettschießen auf den Heimweg machte. Jeder seiner weit ausholenden Schritte wirbelte kleine Staubwolken vor ihm auf. Er zwang sich zur Mäßigung, wenngleich er gern noch schneller gelaufen, am liebsten gerannt wäre, um so viel Abstand wie nur möglich zu dem eben Geschehenen zu bekommen.
Sein Verstand sagte ihm, dass das jedem hätte passieren
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