Geliebte Kurtisane
können und verzeihlich war. Mrs Farleigh war kein junges, unschuldiges Mädchen, sie war Witwe. Zudem war es nur ein Kuss gewesen – ein berauschender Kuss, wohl wahr, aber eben nur ein Kuss. Auch wenn ihm danach gewesen war, so hatte er sie nicht gegen einen Baum gedrängt. Er hatte sie nicht zu Boden geworfen und ihre Röcke gehoben. Ja, er hatte nicht einmal seine Hände schweifen lassen, hatte sie einfach nur um die Taille gefasst und sich an ihrem Kuss berauscht.
Nur ein Kuss. Ein Flirt, der etwas zu weit gegangen war. Jeder andere Mann würde sich ihrer Lippen erfreut und dann keinen weiteren Gedanken daran verschwendet haben.
Aber Mark war nicht jeder andere Mann. Er kannte sich. Für ihn kam es einem Verhängnis gleich.
Es war ja nicht das erste Mal, dass er sich vergaß, und ihn schauderte, wenn er nur daran dachte. Er wusste, was passieren konnte, wenn er die Beherrschung verlor und unbedacht handelte. Wenn er keine Kontrolle mehr über den Gang der Dinge hatte. Es war ein Gefühl, das dem Wahnsinn sehr nahe kam. Und wozu Wahnsinn führen konnte, wusste niemand besser als er.
Seine Mutter hatte in ihrem Wahn seine Brüder grün und blau geprügelt. Ihre vielen guten Werke änderten nichts daran, dass sie einen ihrer Söhne fast umgebracht hätte.
Er fürchtete nicht, verrückt zu werden, hatte er doch bislang kein Anzeichen dafür bei sich entdecken können. Aber er mochte das Gefühl nicht, wenn sein Zorn mit ihm durchging, wenn Verlangen seinen Verstand besiegte. Es erinnerte ihn daran, dass er, egal, was er tat, immer auch das Erbe seiner Mutter in sich trug. Er hatte nicht nur ihre Haarfarbe und ihre Augen, sondern auch ein Wesen, das dem ihren ähnelte.
Er hatte mit ansehen müssen, wie seine Mutter sich in ihrer Raserei verzehrte. Maßlose Gefühle und dünner Haferbrei – mit beidem hatte sie ihn aufgezogen. Und gegen beides hatte er bis heute eine so tiefe, unbezwingbare Abneigung, dass er kaum wusste, was schlimmer war.
Mark hatte ziemlich genaue Vorstellungen von der Frau, die er einmal heiraten wollte. Unter den fügsamen und gefälligen Debütantinnen, mit denen er fortwährend traktiert wurde, hatte er sie indes nicht gefunden, denn Marks Ideal war kein Mädchen, sondern ein Frau. Eine intelligente Frau, die ihm eine gute Gefährtin wäre, so klug und so geistreich, dass er sich nie mit ihr langweilte, so reif und so selbstsicher, dass sie sich nicht jeder seiner Launen beugte. Sie würde ihn fordern und sich ihm, wenn nötig, auch widersetzen.
Doch noch etwas anderes, weitaus Wichtigeres erfüllte seine Träume. Er wünschte sich eine Frau, bei der er Ruhe fände. Sie müsste abgeklärt genug sein, dass er ihr die Wahrheit über sich anvertrauen konnte. Sie würde ihn ins Gleichgewicht bringen, wäre ihm ein Quell der Ruhe und des Friedens.
Natürlich hoffte er, dass die Frau seiner Träume auch seine körperlichen Begierden stillen könnte. Jedes Mal, wenn er sich in den Fantasien ehelichen Beisammenseins verloren hatte – öfter, als seinem Gemütsfrieden zuträglich war –, hatte er es sich als recht vernunftbetontes Unterfangen vorgestellt. Leidenschaftlich, das wohl, und durchaus erquicklich. Doch der Verstand war es, der die Leidenschaften zu leiten hatte. Sinn und Zweck der Übung war es, danach einen klareren Kopf zu haben.
Als er Mrs Farleigh kennenlernte, hatte er sie in Ruhe in Erwägung ziehen wollen. Sie schien ihm … möglich.
Sie war schön. Und sie war klug. Und reif. Doch das Allerwichtigste: Sie scheute sich nicht, ihn zu fordern und infrage zu stellen. Seine legendäre Unfehlbarkeit vermochte sie nicht zu beeindrucken. Sie war seit Langem die erste Frau, die allen Unsinn, der hinter seinem ihm immer noch unerklärlichen Erfolg steckte, durchschaute. Sie sah, dass er hinter allem Schein auch nur ein Mann war wie jeder andere. Das war gut so, denn er brauchte jemanden, der ihm bisweilen sagte: „Sir Mark, so geht das nicht. Beherrsch dich.“
Mrs Farleigh schien perfekt für ihn zu sein. Allen Gerüchten zum Trotz, die im Dorf über sie kursierten, hatte er gehofft, sie könne die Frau sein, auf die er gewartet hatte.
Nun war alle Hoffnung wieder dahin, denn in einer Hinsicht war Mrs Farleigh die völlig Falsche für ihn. Sie brachte ihm keine Ruhe. Ganz im Gegenteil. Sie schürte seine Leidenschaften. Sie entflammte ihn. Er brauchte nur die Augen zu schließen, schon sah er sie vor sich, den kurzen Blick über die Schulter, die gesenkten Lider, ihre
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