Geliebte Kurtisane
war maßlos, als er vor ihr auf ein Knie sank. Er streifte sich seinen Ring ab und legte ihn in ihre Hand. „Jessica“, sagte er, „würdest du mir die Ehre erweisen, meine Frau zu werden?“
Sie erstarrte.
Sie bräuchte ihn nicht zu ruinieren. Sie hatte geglaubt, auf den heutigen Abend vorbereitet zu sein, doch damit hatte sie nicht gerechnet. Niemals. Selbst wenn sie sich nie kompromittiert hätte, wenn sie noch immer Jessica Carlisle wäre, tugendhafte Pfarrerstochter, so stünde Mark gesellschaftlich weit über ihr. Er war der Bruder eines Dukes. Queen Victoria hatte ihn zum Ritter geschlagen. Sie hingegen war ein Niemand.
Was sollte sie nun tun?
Sag Ja.
Ihr bliebe erspart, ihn zu ruinieren. Mit der Hilfe seines Bruders könnte er binnen weniger Tage eine Sondergenehmigung bekommen. Ehe er die Wahrheit über ihre Vergangenheit erfuhr, wären sie verheiratet. Sie würde sich nie wieder verkaufen müssen. Sie hätte beides: ihre Freiheit und Mark.
Doch machte es einen Unterschied, seine Reputation zu ruinieren oder sein Leben. Die Gerüchte, die nach seiner Verführung kursieren würden, mochten eine Weile an ihm haften, seinen Namen ein paar Monate besudeln. Irgendwann wäre es schließlich vergessen. Es wäre vorbei. Aber ihn in die Ehefalle locken? Ihr Leben lang wären sie aneinander gebunden. Wieder müsste sie in einem Geflecht aus Lügen leben. Und sie würde ihn allen künftigen Glücks berauben.
Nein, das konnte sie ihm nicht antun. Sie konnte es sich nicht antun.
„Jessica, Liebste“, sagte Mark, noch immer auf einem Knie, „du musst Ja sagen, ehe ich dich wieder küsse.“
Keinen Gedanken hatte sie je daran verschwendet. Liebe schien ihr in ihrem Leben nicht minder vergeblich als Hoffnung. Wozu hoffen, wozu Gefühle hegen? Nun wurde sie eines Besseren belehrt. Sie liebte ihn – sie liebte ihn dafür, dass er sich nicht scherte um den gesellschaftlichen Unterschied, der zwischen ihnen war, dass sie ihn nicht von seinen Prinzipien hatte abbringen und verführen können.
Aber Liebe war nicht Güte und Sanftheit. Liebe war Ungestüm und Leidenschaft und duldete nichts neben sich. Undenkbar, dass sie ihn bekam. Er war nichts für sie, das würde er auch gleich einsehen. Sie würde dafür sorgen, dass er sie nicht mehr wollte, schon gar nicht als seine Frau. Alles Gute in ihrem Leben war ihr stets genommen worden. Und Mark war das vielleicht Beste gewesen, seit … seit Amalie.
Sie zog ihre Hand zurück. „Sir Mark …“
„Mark.“ Seine Augen verdunkelten sich kaum merklich, als ahne er, was folgen würde.
„Sir Mark“, fuhr sie fort, „mir war nicht bewusst, dass Sie kommen wollten, um mir einen Antrag zu machen.“
Er runzelte irritiert die Stirn. „Weshalb hätte ich denn sonst kommen sollen?“
Sie erwiderte seinen Blick, sah ihm direkt in die Augen. „Gestern noch sagten Sie mir, Sie wollten mein Beschützer sein. Sie sagten, dass Sie mich wollten.“
„Das habe ich. Und das will ich noch.“ Etwas unbeholfen stand er wieder auf. „Was ist denn? Habe ich etwas falsch gemacht?“
„Sich einer Frau als ihr Beschützer anzubieten, meint nicht Heirat. Es ist, was ein Mann seiner Geliebten bietet.“
Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Da ich bisher nie das Bedürfnis oder Gelegenheit hatte, mich einer Geliebten anzubieten, bin ich mit den Gepflogenheiten und der richtigen Wortwahl nicht vertraut. Aber Jessica, ich habe vom ersten Tag an zu dir von Heirat gesprochen.“
Das stimmte wohl. Sie erinnerte sich noch gut an ihren Spaziergang zum Friar’s Oven.
Somit hätte es sie eigentlich nicht überraschen sollen. Doch hatte sie seine Worte nicht ausschließlich auf sich bezogen, hatte jedem seiner Sätze in Gedanken ein stummes „Ja, aber …“ folgen lassen. Er hatte gesagt, er mache ihr ein Versprechen, eine leise Stimme hatte ihr indes zugeraunt: Aber nicht diese Art von Versprechen . Er hatte ihr versichert, sie sei nicht allein, und sie hatte sogleich gemeint, ein unausgesprochenes für den Augenblick mitzuhören.
Genau genommen war er ziemlich deutlich geworden. Er hatte geradeheraus gesagt, dass er sie für mehr als nur drei Tänze kennenlernen wolle, denn nur so könne er beurteilen, ob sie die Frau sei, die er heiraten wolle. Aber sie hatte es für Gedankenspiele gehalten. Dass er es tatsächlich ernst meinte, dass er sich dazu entschlösse, sie zu heiraten, wäre ihr niemals in den Sinn gekommen. Sie zählte nicht zu der Sorte Frau, die Männer heirateten .
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