Geliebte Kurtisane
hätte berühren können. Ein Blick auf seine finstere Miene ließ sie verstummen.
„Es sah nicht nach Regen aus, als ich aufbrach“, erwiderte er und legte seine Hand an die Tür, als wolle er verhindern, dass sie ihm entkomme.
Das Herz schlug ihr schneller. „Es regnet schon seit drei.“
„Ich warte hier seit Mittag.“ Seine Worte waren so ruhig, dass es sie mehr ängstigte als jede Unbeherrschtheit. „Außerdem konnte ich so sichergehen, dass du mich nicht gleich wieder hinauswirfst. Meine Revanche.“
Sein eindringlicher Blick rief ihr jenen Nachmittag in Erinnerung, da sie nass bis auf die Haut vor seiner Tür gestanden hatte. Sie hatte ihn verführen wollen, dann hatte sie ihm gesagt, dass sie ihn hasse. Fröstelnd zog Jessica ihren Umhang um sich.
„Ich weiß, dass du nicht erfreut bist über das, was ich getan habe“, sagte sie. „Ich weiß, wie ungern du im Zentrum der Aufmerksamkeit stehst. Ich wusste, dass du aufgebracht sein würdest, wenn ich das Vertrauliche unserer Gespräche ganz London mitteile.“ Ihre Worte standen als weiße Atemwolken in der Luft. „Ich habe nichts zu meiner Verteidigung vorzubringen.“
Er streckte die Hand nach ihr aus und fasste sie beim Kinn. „Wirklich nicht? Kein einziges Wort der Rechtfertigung?“
Sie trat zurück und wandte sich von der Tür ab. „Ich habe nur getan, was ich immer tue. Ich gab mein Bestes, um zu überleben. Dafür werde ich mich nicht entschuldigen. Doch ich kann auch nicht verlangen, dass du mir verzeihst.“
Wieder machte er einen Schritt auf sie zu, und prompt wich sie immer weiter zurück. Der Flur war schmal und beengt. Ehe sie sichs versah, fand sie sich mit dem Rücken zur Wand. Nun stand er dicht vor ihr, legte die Hände langsam und bedächtig zu beiden Seiten ihres Kopfs an die Wand. Sie war gefangen, eingeschlossen. Es gab keine Möglichkeit, ihm zu entkommen.
„Mark“, bat sie ihn. „Ich weiß, wie wütend du auf mich sein musst, aber …“
„Wütend auf dich?“, fragte er. „Warum um alles in der Welt sollte ich auf dich wütend sein?“
Ihre Furcht nahm von ihr Besitz. Sie wusste nicht, was sie erwidern sollte, und schüttelte den Kopf. Wusste nicht, was sie tun sollte, als er sich noch weiter über sie beugte.
Er streichelte ihre Wange. Seine Finger waren nass und kalt, doch sie fühlten sich auch fest und wahr an. Sie hätte sie greifen können, wäre sie nicht wie erstarrt. So sanft berührte er sie, als fürchte er, sie könne einfach wieder verschwinden, wenn er zu sehr dränge. „Als du mir sagtest, dass du dich von Weston hattest anheuern lassen, konnte ich an nichts anderes denken, als dass du mich die ganze Zeit ausgelacht haben musst. Dass du mir alles nur vorgespielt hattest, dass es dir nie etwas bedeutet hatte. Aber es war nicht gelogen, oder? Nicht alles.“
Ihr Herz pochte. Wollte er ihr wirklich vergeben? Unmöglich. Er würde ihr niemals verzeihen. „Ich hatte dir erzählt, ich sei verheiratet gewesen. Es war gelogen.“
„Du warst vierzehn.“ Er strich ihr den Regen aus der Stirn, fuhr zärtlich mit dem Daumen über ihre Nase. „Du warst vierzehn, als du verführt wurdest und dein Vater dich des Hauses verwies.“
Sie brachte kein Wort heraus. Gefühle, die sie nicht benennen konnte, schnürten ihr den Hals zu. Es war mehr als schiere Erleichterung, überwältigender als schlichte Hoffnung.
„Seitdem schlägst du dich allein durchs Leben.“
Sie nickte stumm.
Er wandte sich um und ging, um die Tür zu verriegeln. Das spärliche Licht, das von draußen hereingefallen war, war nun ausgeschlossen. Sie fand sich im Dunkeln, allein mit ihm, dessen Gesicht sie kaum mehr ausmachen, dessen Gefühle sie nur ahnen konnte.
„Es war wohl wahr, was du ganz zu Beginn sagtest.“ Seine Stimme schwebte aus dem Nichts zu ihr, so nah und doch so fern. „Am Anfang hast du mich gehasst.“
„Ja, aber nicht lange. Ich konnte es nicht.“
Da seufzte er leise, und sie meinte, seinen Atem zu spüren. „Das hatte ich gehofft. Jessica.“ Er hielt inne, holte tief Luft. „Ich bitte dich in aller Bescheidenheit um Vergebung.“
„Du bittest … mich um Vergebung?“ Ihre Stimme klang ihr fremd, jeder Atemzug kostete sie Mühe.
„Ich hatte dir gesagt, dein Beschützer sein zu wollen. Weit bin ich damit nicht gediehen.“
Oh, wie töricht war es, ob dieser Worte zu weinen. Im Dunkeln konnte sie immerhin so tun, als sei es nur Regenwasser, das ihr die Wangen netzte. Sie streckte die Hand nach ihm
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