Geliebte Kurtisane
fing er Ashs Blick auf. Die Miene seines Bruders war finster, er bedeutete ihm mit knapper Geste, sofort zu ihm zu kommen.
Der Walzer neigte sich glücklicherweise seinem Ende zu.
„Lieben Sie sie, Sir Mark?“
Er hatte geglaubt, seine Gefühle für sie wären während der letzten Tage erloschen. Aber diese Nachricht entfachte sie erneut, riss all seine Wunden wieder auf.
„Ob ich sie liebe?“, fragte Mark ungläubig. „Wenn ich sie finde, könnte ich sie umbringen.“
17. KAPITEL
D ie drei Brüder fanden sich in Ashs Arbeitszimmer ein.
Auf dem Schreibtisch lag eine Akte. „Wichtig“, las Mark laut vor. „Bitte sofort lesen.“ Das sofort war dreimal unterstrichen. Ganz unten hatte Jeffreys noch eine Notiz an Ash gekritzelt, in der er ihm mitteilte, dass er sich, da er tagelang nicht erreichbar gewesen sei, vorerst mit einem schriftlichen Bericht begnügen müsse.
Ash sah Mark betroffen an. „Ich … das hatte ich nicht gesehen.“ Dann schaute er zu Smite hinüber. „Wirklich nicht. Ich weiß auch nicht, wie …“
Mark drückte seinem Bruder die Schulter. „Ich weiß schon, Ash. Niemand macht dir einen Vorwurf.“
Flüchtig blätterte er den Bericht durch, der obenauf lag, bis er zu den Zeitungsausschnitten gelangte. Das billige Papier schien viel zu dünn, um etwas so Gewichtiges tragen zu können. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte er sich von der Gegenwart seiner Brüder gestört. Er hatte kaum ein Wort über die Angelegenheit verloren. Dass nun ein Dritter seine Brüder davon in Kenntnis setzte … nun, es schien ihm fast noch schrecklicher, als dass ganz London darüber Bescheid wusste.
Lasst mich bitte allein und lest es erst, wenn ich damit fertig bin, wollte er sagen. Doch dann fing er Ashs Blick auf, der mit aufrichtigem Bedauern auf besagtem Bericht ruhte, und besann sich anders. Seine Brüder waren die letzten Tage an seiner Seite gewesen. Sie hatten es nicht verdient, jetzt zurückgewiesen zu werden.
„Es gibt nur ein Exemplar“, sagte er stattdessen. „Wahrscheinlich geht es am schnellsten, wenn ich laut vorlese, einverstanden?“
„Wenn … Wie du magst.“ Ash mied es, ihn anzusehen.
Mark ließ sich auf dem Sofa nieder. Seine Brüder nahmen zu beiden Seiten von ihm Platz, während er die Papiere kurz durchsah. Jeffreys hatte nicht nur die fünf Fortsetzungen von Jessicas Artikel beigelegt, sondern auch die Kommentare dazu. Mark kümmerte es wenig, was andere darüber zu sagen hatten. Er wollte einfach nur wissen, was Jessica geschrieben hatte.
„Als ich Sir Mark das erste Mal begegnete“, las er vor, „sagte er zu mir, er spreche mit Engelszungen.“ Oje, das hatte er – mit gutem Grund – längst vergessen. Er wagte keinen Blick zur Seite, wagte sich kaum auszudenken, was seine Brüder von dieser Einleitung hielten.
„Doch ich brauchte eine ganze Woche, um zu verstehen, dass er weder als Heiliger sprach noch als Asket, sondern als Mensch. Er war auch nur ein Mann, aber ein sehr, sehr guter.“
Hätte er jemals Zweifel daran gehabt, dass Jessica den Artikel eigenhändig verfasst hatte, so waren sie nun ausgeräumt. Er meinte beim Lesen der Worte fast ihre Stimme zu hören. Was er indes nicht erwartet hatte, waren die Gefühle, die sie in ihm weckten. Weder war es Wut noch das Gefühl betrogen worden zu sein. Eher war es wie ein Sprung in klares, kaltes, Wasser – ein Gefühl des Wiedererkennens. Es war, als sagte sie ihm etwas, das er nicht hören wollte, aber immer schon gewusst hatte.
Er las weiter. „Ich muss gestehen, dass ich ihm zuerst schaden, ihn verletzen wollte …“
Es hatte etwas Beunruhigendes, sich selbst durch die Augen eines anderen zu sehen. Während der letzten Tage hatte er geglaubt, sie würde über ihn lachen. Immerhin hatte sie mit ansehen können, wie er sich in ein Trugbild verliebt hatte. Er war davon ausgegangen, dass sie intuitiv erspürt hatte, was er sich von einer Frau ersehnte, und hatte ihm genau das geboten. Er kam sich vor, als sei er ihr in die Falle gegangen. Und er war wütend, zornig, dass er sich trotz alledem nach ihr sehnte.
Aber je weiter er las, desto mehr entsprach ihre Geschichte der Frau, für die er sie gehalten hatte. Auch wenn sie ihnen keinen Raum ließ, so konnte er zwischen den Zeilen ihre Zweifel hören. Auch wenn sie es nicht aussprach, so spürte er, dass sie ebenso in seinen Bann geraten war wie er in den ihren. Ihm war, als entdecke er sie in diesen Zeilen wieder, als finde er ihr wahres Selbst. Und
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