Geliebte Kurtisane
Smite.
„Wenn du willst, lasse ich die Zeitung eine Gegendarstellung drucken“, bot Ash an. „Wenn es sein muss, kaufe ich das Gebäude, in dem die Redaktion sitzt, und mache dem Eigentümer das Leben schwer.“
„Es ist alles wahr. Sie hat mich, ehrlich gesagt, ziemlich … schmeichelhaft dargestellt. Keine Rede von all den Malen, da ich sie geküsst habe und …“
Mark hielt inne, als er merkte, wie seine Brüder sich umwandten und bedeutungsvolle Blicke tauschten.
„Du hast sie geküsst ?“, fragte Ash.
„All die Male?“, wiederholte Smite fragend. „Plural?“
„Kein Grund, so überrascht zu klingen. Ich lebe keusch, aber ich lebe. Wenngleich, einige Male war es knapp. Mit der Keuschheit, meine ich. Mehr als knapp.“ Seufzend lehnte er sich zurück und schloss die Augen.
„Alle Achtung“, meinte Smite. „Gut gemacht.“
„Gar nichts habe ich gemacht“, brummelte Mark. „Weder gut noch schlecht.“
„Nun aber mal im Ernst“, sagte Ash. „Was willst du, Mark? Wenn du die Sache aus der Welt geschafft haben willst, kümmere ich mich darum. Ich könnte herausfinden, wo sie sich aufhält, und ihr Schweigen erkaufen. Du musst es nur sagen.“
Ja, was wollte er? Er fühlte sich, als stünde er am Rand eines tiefen Abgrunds, kurz davor zu fallen. Er versuchte, sein Gleichgewicht zu finden, suchte Ruhe, Frieden, Mäßigung …
Doch das sollte nicht sein. Sie glaubte, eine Frau wie sie könne niemals einen Mann wie ihn haben. Er hatte die BMK als Ausbund von Heuchlern diffamiert. Frauen sind der Grund der Keuschheit, nicht ihr Feind , hatte er verkündet.
Schöne Worte. Aber welchen Sinn hatte es, im Angesicht des Abgrunds das eigene Gleichgewicht zu wahren und die Frau, die man liebte, in die Tiefe stürzen zu sehen?
„Ja“, sagte Mark, „ich bräuchte deine Hilfe, Ash. Lass es mich erklären …“
Der Regen prasselte auf Jessicas Umhang, als sie in ihrer Tasche nach dem Schlüssel zu ihrer Wohnung suchte. Sie hatte sich im Frühjahr Räume in Whitechapel gemietet – als vorübergehende Lösung, um ihre Sachen unterzustellen, während sie in Shepton Mallet war, und eine Unterkunft zu haben, wenn sie mit Sir Mark fertig war. Die Gegend war nicht gut, die engen Straßen düster, die Häuser heruntergekommen und die Wohnung wenig behaglich, aber irgendwo musste sie ja bleiben, bis Parret die letzte Rate zahlte.
Das Unwetter war plötzlich aufgezogen, und nun stand sie da, durchnässt und mit kalten, klammen Fingern, und bemühte sich, den Schlüssel ins Schloss zu bekommen. Die abschließende Folge ihres Artikels war vor wenigen Tagen erschienen. Ihr hätte unwohl und bang sein sollen, nun, da jeder lesen konnte, was sie geschrieben hatte. Zumal sie gehört hatte, dass Mark seit gestern Abend wieder in der Stadt war.
Doch sie wollte weder an ihn denken noch daran, was sie ihm angetan hatte. Sie hatte nur getan, was sie immer tat: Sie hatte versucht zu überleben – um jeden Preis. Endlich drehte der Schlüssel sich im Schloss. Sie wischte sich das Wasser aus dem Gesicht, das ihr die Schläfen hinabrann. Im Flur wandte sie sich um und wrang ihren nassen Umhang vor der Tür aus.
An der Straßenecke brannte einsam eine Laterne, deren Licht kaum die Düsternis des abendlichen Unwetters durchdrang. Gaslicht bot wenig Helligkeit, es warf nur lange, kalte Schatten.
Einer dieser Schatten bewegte sich nun. Eine dunkle Gestalt trat aus einer der schmalen Gassen hinaus auf die Straße. Jessicas Herz schlug schneller, als sie – es war ein Mann – zügigen Schrittes auf sie zukam. Sie wich zurück in ihre Wohnung, griff nach dem Türknauf.
„Jessica“, sagte er.
Er war es. Eine Unzahl widerstreitender Gefühle stürzte auf sie ein – Panik, Erleichterung, Hoffnung, Furcht. Marks Stimme hingegen klang tonlos, bar allen Gefühls.
Sie wich noch weiter ins Haus zurück. „Sir Mark … Mark. Was tust du hier?“
Er machte erneut einen Schritt auf sie zu. Nun konnte sie auch sein Gesicht erkennen. Sein Rock war durchnässt, das blonde Haar klebte ihm trotz des Huts nass am Schädel. Regen rann ihm in Strömen das Gesicht hinab, tropfte ihm vom Kinn. Sein Blick brannte sich in den ihren. „Was glaubst du wohl, was ich hier mache?“
Sein Ton ließ sie zusammenzucken. „Du musst wütend sein“, vermutete sie.
„Rasend vor Zorn.“
„Aber was hast du hier verloren, bei diesem Wetter, ohne Mantel, ohne Schirm …“
Er trat noch einen Schritt näher. Nun war er ihr so nah, dass er sie
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