Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
Vom Netzwerk:
Labyrinth von Grabkorridoren und Grabräubertunnels, in denen man ungelogen stundenlang herumkriechen kann, ohne das Tageslicht zu sehen.
    Damit waren wir auch schon an einem großen und fast leeren Parkplatz angekommen, und es hieß aussteigen. Wir stiegen aus und staunten erst einmal über die unwahrscheinliche Hitze, die hier bereits herrschte. Naja, wir befanden uns in einem richtigen Talkessel - was man bei uns in den Alpen einen Talschluß nennen würde -, und die göttliche Sonnenscheibe brannte unbarmherzig herunter und heizte ihn ordentlich auf. Wir marschierten an einer Reihe von Souvenirstandln vorbei, dann kam der Ticketschalter, und hier sahen wir uns nun einem Amphitheater von Felsen voller Löcher gegenüber; und diese Löcher waren die Eingänge zu den Königsgräbern. Von diesen besichtigten wir nun unter Myriams sachkundiger Führung drei, und das war reichlich genug. Denn zwei von diesen waren so furchtbar lang, daß eine einigermaßen gründliche Besichtigung der Wandmalereien eben irrsinnig lang dauert; und die Wände der nicht enden wollenden Gänge und der riesigen unterirdischen Hallen sind vollständig mit Malereien bedeckt. Und dazu kommt, daß der Besuch eines solchen Pharaonengrabes irgendwie doch eine gruselige Angelegenheit ist: die kalte Luft nach der enormen Hitze draußen, die unheimliche Finsternis nach dem prallen Sonnenlicht draußen, die endlosen, abschüssigen, widerhallenden Gänge mit ihren Scharen von furchterregenden tierköpfigen Gottheiten oder lieben Tierchen wie den Aasgeiern, die über dem Besucher ihre Flügel ausbreiten, und dazu vielleicht auch die allbekannte Mär vom Fluch des Pharao - das alles gab uns das Gefühl, als ob wir die Unterwelt betreten würden - eine Unterwelt, aus der es kein Zurück gibt.
    Naja, so schlimm wird's schon nicht jeder empfunden haben. Ich bin da halt vielleicht ein wenig gar empfindsam. Aber immerhin machte ich, während wir langsam in die Unterwelt hinunterstiegen und die Malereien betrachteten und von unserer Myriam erklärt bekamen, eine für mich persönlich wichtige Entdeckung, die mich dieses gruselige Gefühl teilweise vergessen ließ. Zwischen den ägyptischen Göttern und den feierlichen Hieroglyphen entdeckte ich plötzlich eine ganz unfeierliche Kritzelei in griechischer Schrift, und ich las: ''Ich, Philastrios aus Alexandria, der ich nach Theben gekommen bin und diese Gräber mit ihren erstaunlichen Schrecken besichtigt habe, habe hier einen köstlichen Tag verbracht.' Na bitte! Wenn das nicht interessant ist! Das beweist doch, nicht wahr, daß in der griechisch-römischen Epoche, während der Alexandria die Hauptstadt Ägyptens war, zumindest manche von diesen Gräbern offen - und das heißt: ausgeplündert - waren und als Touristenattraktion galten. Und nachdem ich jetzt darauf aufmerksam geworden war, versuchte ich von nun an systematisch weitere griechische Inschriften zu finden, und wie heißt's so schön in der Bibel? Wer suchet, der findet. Aber unter diesen gefundenen Inschriften gab's zu meiner Verblüffung auch solche, die ich nicht lesen konnte; das heißt, lesen konnte ich sie vielleicht schon, aber die Worte gaben mir keinen Sinn. Endlich kam mir die Erleuchtung, daß diese Worte eben gar nicht griechisch, sondern koptisch sind. Und als ich eine Zeichnung entdeckte, in der zwei Männer mit erhobenen Händen dargestellt sind, und zwar in der Art, wie die frühen Christen gebeten haben, da war mir klar, daß auch hier einmal christliche Eremiten gehaust haben müssen.
    Also, wie gesagt, das alles gilt nur für zwei von den drei Königsgräbern, in die uns Myriam führte. Das dritte besteht nur aus einem ganz kurzen Gang und vier kleinen Räumen und weist keinerlei christliche Inschriften auf, ist aber dafür das einzige, das bei seiner Entdeckung ungeplündert war, und das einzige, dessen Mumie noch an Ort und Stelle ruht. Ich spreche natürlich von Tut-ench-Amun. Seine Grabbeigaben hatten wir ja in Kairo in der weitläufigen Galerie des ersten Stockwerks des Ägyptischen Museums gesehen und bestaunt und konnten uns jetzt überhaupt nicht vorstellen, daß die alle in diesen vier winzigen Kammern Platz gehabt haben sollen, aber laut Myriam waren sie, als das Grab entdeckt wurde, hier alle aufs engste zusammengepfercht.
    Als wir mit der Besichtigung dieser drei Gräber fertig waren, waren wir nicht nur alle relativ erschöpft, also 'fertig', wie man so schön anschaulich sagt, sondern es war auch bereits Mittagszeit.

Weitere Kostenlose Bücher