Geliebte Myriam, geliebte Lydia
Deshalb tankten wir im nahegelegenen Rasthaus neue Kräfte, und anschließend gab's eine Bergtour. Das war so: unser nächster Besichtigungspunkt war der schon von der Nilfähre aus gesichtete Terrassentempel der Königin Hatschepsut, und der ist vom Tal der Könige aus über einen Bergpfad zu erreichen. Aber wem das zu beschwerlich war, der konnte selbstverständlich den Weg zusammen mit Myriam im Bus zurücklegen. Nun, der Großteil meiner Gruppe ließ sich die Gelegenheit zu einer kleinen Bergtour mitten in der Wüste nicht nehmen, und sie wurden auch nicht enttäuscht, denn es war von oben nicht nur die Aussicht im allgemeinen großartig, sondern vor allem der Tiefblick auf den Hatschepsut-Tempel atemberaubend und absolut phantastisch. Leider wurde der Genuß ziemlich getrübt durch ganze Horden von galabejagewandeten Einheimischen, die uns pausenlos angeblich echte Antiquitäten aufzudrängen versuchten und durch nichts, aber schon gar nichts, abzuwimmeln waren. Ich warnte meine Leute, daß die sogenannten Antiquitäten, die diese Burschen da mit sich herumschleppen, unter Garantie gefälscht seien, und berichtete ihnen von meiner gestrigen Entdeckung richtiger Antiquitätenläden in der Nähe unseres Hotels; in diesen hätten sie noch am ehesten die Chance, echte Antiquitäten zu erstehen.
Nun aber zurück zu besagtem Terrassentempel der Königin Hatschepsut. Sein offizieller arabischer Name lautet 'Der el-Báhari', und wißt ihr, was das bedeutet? Es bedeutet 'Kloster des Nordens' und zeigt, zu was dieser herrliche Tempel in der christlichen Epoche umfunktioniert war. Vorm Eingang zu ihm gab's ein großes Wiedersehen, denn dort vereinigten sich die zwei Teile, in die meine Großfamilie kurzfristig aufgesplittert war, wieder, bevor Myriam mit ihrer Führung begann. Und als diese endlich aus war, ging's unbeirrt weiter, und die Besichtigungen wurden immer anstrengender, und unsere liebe Myriam schleppte uns noch durch eine ganze Reihe weiterer Riesentempel und schleppte uns durch Dörfer mit grauen, unverputzten Lehmziegelhäusern und tiefverschleierten Frauen, die in eleganter Haltung Wasserkrüge auf dem Kopf trugen und weitere Wasserkrüge von süßen Eselchen tragen ließen - durch solche Dörfer hindurch schleppte sie uns also auf steinige Hügel zu weiteren altägyptischen Grabanlagen hinauf und zeigte uns auch noch die sogenannten Memnonskolosse, zwei allerdings sehr beschädigte Riesenstatuen, auf deren Sockeln sich zahlreiche römische Touristen verewigt haben. Und damit endete unsere Besichtigung von Theben-West, und wir waren total geschafft. Oder vielleicht waren nur Lydia und ich so geschafft, weil wir in der vergangenen Nacht nicht ganz ausreichend geschlafen hatten. Götzi und Babsi waren sowieso kein Maßstab; bei denen hatten sich die Erschöpfungszustände ja schon in der Früh bemerkbar gemacht.
Apropos Lydia: über sie war ich einmal ganz gerührt, und zwar auf der Fähre, während der Rückfahrt nach Luxor. Da fuhr nämlich ein kleines Büblein mit, das, bewaffnet mit Schuhputzzeug und einem Schemel, unter den Passagieren herumging und ihnen anbot, sich von ihm die Schuhe putzen zu lassen. Naja, und dabei hat mich meine Lydia, wenn ich so sagen darf, zum ersten Mal quasi bemuttert. Sie fand nämlich - zugegebenermaßen nicht ganz zu Unrecht -, daß unsere Schuhe nach einem ganzen Tag in der Wüste eine kleine Säuberung durchaus vertragen könnten, und engagierte den kleinen Schuhputzer, um ihre und eben auch meine Schuhe zu putzen, und lud mich zu dieser Lustbarkeit ein. Na gut, es kostete eh fast nichts, aber darauf kam's auch gar nicht an; was zählte, war die liebe Geste, und die zeigte, daß sie sich ab sofort für mich in gewisser Weise verantwortlich fühlte, und das wieder zeigte, daß sie sich jetzt mit mir irgendwie zusammengehörig fühlte; und daß ich darüber total gerührt war, wird euch nicht weiter verwundern, oder?
So, und dann legte die Fähre an, und wir waren wieder in Luxor. Na, da stand er ja noch, unser eigener Bus - so vertraut war der uns inzwischen geworden, daß wir die kurze Rundfahrt mit einem Kleinbus am anderen Ufer direkt als Treulosigkeit, als Seitensprung empfanden. Da hatten wir ihn also endlich wieder, aber - er war fest verschlossen. Und wo war unser Machmut? Machmut, der du uns sonst immer so brav und ausdauernd Mut machst - wo bist du? Hat dich die Erde verschluckt? Nirgends zu sehen! Unsere Myriam war bald ganz verzweifelt, und einige, die heute
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