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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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Feilschen, und man kriegt sie nur zu einem wesentlich ungünstigeren Preis, als wenn man an ihr angeblich kaum interessiert ist. Aber andererseits: ein echter Papyrus überstieg garantiert bei weitem meine finanziellen Möglichkeiten. Oder täuschte ich mich in dieser Vermutung? Na, für alle Fälle würde ich auch weiterhin möglichst unbeteiligt, ja, skeptisch, dreinschauen, um möglichst uninteressiert zu wirken. War dieses Papyrusblatt nicht ohnehin furchtbar beschädigt? Der Geschäftsinhaber hatte es ja sogar selber erwähnt. Und es stimmte: der obere Rand war richtig zerfetzt, und die ersten zwei Zeilen waren dadurch kaum lesbar, und von oben bis unten zog sich genau durch die Mitte des Blattes eine ganze Serie von allerdings nur kleinen Löchern. Aber in der dritten Zeile, da las ich jetzt das Wort 'Thebas'; und ich überflog den Text, soviel eben davon übrig war, und las einige Zeilen darunter den Namen 'Groß-Diospolis' - so der offizielle Name Thebens in der griechisch-römischen Epoche.
    Na, dann probieren wir's halt! Ich blickte auf, machte ein möglichst skeptisches Gesicht und fragte den Händler, wieviel das Blatt kosten solle. Der machte daraufhin ebenfalls ein äußerst skeptisches Gesicht und antwortete schließlich, 50 ägyptische Pfund. Ich glaubte mich verhört zu haben; ich hatte mindestens mit dem Zehnfachen gerechnet. Da wär' er ja direkt erschwinglich! Noch dazu, wenn ich halbwegs geschickt handle! Und ich bemühte mich, noch uninteressierter und noch skeptischer dreinzuschauen und erklärte mit Nachdruck, das sei viel zu teuer, und wies meinerseits auf die Beschädigungen hin, und er ersuchte mich, ein Gegenangebot zu machen, und ich wiegte den Kopf und spitzte die Lippen und sagte: '10 Pfund.' Und er machte eine sehr betrübte Miene und sagte: '45.' Da erkannte ich, daß er wirklich mit sich handeln ließ, und ging mit meinen Angeboten allmählich in die Höhe, und er begann zu jammern, wie arm er sei und wieviele Kinder er ernähren müsse und daß seine Frau so anspruchsvoll sei, und wollte wissen, ob Lydia, Klein-Barbara und Clemens meine Frau und meine Kinder seien - ja, natürlich, war übrigens meine Antwort - und ging mit seinen Preisvorstellungen allmählich herunter, und schließlich trafen wir uns bei 30 Pfund und besiegelten das Geschäft durch Handschlag.
    Hierauf steckte er das Papyrusblatt in einen etwas steiferen mittelgroßen Briefumschlag und überreichte mir diesen feierlich, und ich zückte meine Brieftasche und blätterte ebenso feierlich die ausgemachten 30 Pfund auf den Verkaufstisch und verstaute anschließend meinen neuerworbenen Schatz mit feierlichen Gefühlen in meiner Umhängetasche. Und jetzt kommt's: während ich damit beschäftigt war, fragte er mit geheimnisvoller Stimme, ob ich vielleicht an einem ganzen Papyrusbuch in derselben Schrift Interesse hätte. Wie? Ein ganzes Papyrusbuch? Ich hätte das so verstanden, daß der von mir soeben erstandene Papyrus der einzige sei, den er gehabt habe. Ja, das sei schon richtig, besagtes Papyrusbuch befinde sich nämlich noch gar nicht hier, sondern im Haus seines Bruders am Westufer; ein Freund von diesem habe es nämlich erst kürzlich gefunden. Aber ein ganzes Buch aus Papyrusblättern - sowas sei für mich sicher unerschwinglich. O nein, widersprach er, und zusätzlich werde er seinem Bruder mitteilen, daß ich ein guter Kunde von ihm sei, und der werde mir daraufhin einen guten Preis machen. Ja, wenn das so ist, dachte ich bei mir, wenn die so großen Wert darauf legen, daß ich's ihnen abkaufe, dann ist es vielleicht doch nicht unerschwinglich; und zumindest anschauen müßte ich mir's unbedingt.
    'Wann kann ich mir's denn anschauen?' fragte ich sodann.
    'Das ginge sofort', sagte er wie aus der Pistole geschossen.
    'Ja, aber wieso, wenn es sich im Haus Ihres Bruders am Westufer befindet?'
    'Nun, man müßte natürlich hinüberfahren.'
    Ich schaute zweifelnd auf die Uhr. Nein, das ginge sich bis zum Abendessen nie aus, und nachher muß ich doch zu dieser blöden Ton- und Lichtvorführung! Und nach dieser ist es höchstwahrscheinlich viel zu spät. Außerdem will ich mich heute doch noch meinen zwei frischerworbenen Schätzen widmen, nämlich erstens meiner Lydia und zweitens diesem Papyrusblatt hier. Naja, morgen ist ja schließlich auch noch ein Tag, und wir werden ja erst übermorgen Luxor verlassen. Da hat er dann wenigstens Zeit genug, den Papyruscodex herüberschicken zu lassen; ich vermutete nämlich, daß

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