Geliebte Myriam, geliebte Lydia
Effekt. Diesmal stand ich aber nicht mehr auf, sondern gähnte im Sitzen, blickte auf die Uhr, legte mich nieder und murmelte: 'Dreiviertel eins. Die kommen diese Nacht nicht mehr. Schlafen wir lieber! Gute Nacht!' Gleichzeitig machte ich das Licht aus und bereitete mich innerlich auf die nächste Reise ins Traumland vor. Wahrscheinlich wäre sie mir diesmal sowieso nicht gelungen; ich war ja viel zu aufgewühlt innerlich. Aber ich kam ohnehin nicht dazu, sie auch nur auszuprobieren. Denn kaum hatte ich das Licht ausgeknipst, da hörte ich's auch schon kreischen. Es kreischte, daß ich eine richtige Ganslhaut bekam, und das Blut erstarrte mir buchstäblich in den Adern. Erst mit der Zeit wurde mir klar, daß es meine liebe, zarte, sanfte Myriam war, die da so gotterbärmlich kreischte, und erst mit der Zeit begann ich zu verstehen, was sie da kreischte. Sie kreischte ungefähr folgendes: 'Nein! Nein! Wir müssen nicht schlafen! Wir müssen nicht schlafen! Sie zurückkommen! Sie zurückkommen!' (Nanu, dachte ich im stillen, was ist denn auf einmal mit ihren ganzen wunderbaren Deutschkenntnissen passiert?) 'Ich habe Angst! Ich habe Angst! Wir müssen suchen Ausweg sofort!' (Ah, sie meint wahrscheinlich einen 'Weg hinaus'.) Naja, und noch einiges mehr in dieser Art.
Da knipste ich das Licht wieder an, richtete mich auf, versuchte sie zu beruhigen und fragte vorsichtig nach dem Grund ihres unerwarteten und plötzlichen Gefühlsausbruchs.
'Hast du nicht gehört, was sie gesagt haben?' erwiderte sie dann, schon etwas ruhiger geworden.
'O ja, jedes Wort! Es war ja kaum zu überhören. Sie haben sehr deutlich gesprochen. Nur verstanden hab' ich leider kein Wort!'
'Sie haben gesagt, sie kommen wieder, und dann bringen sie Verstärkung mit, und dann geht es uns schlecht - dann lassen sie uns für unsere Missetaten büßen, und so weiter.'
'Ah - ein paar kleine Sadisten, was? Aber sie freuen sich zu früh!' Und im weiteren berichtete ich ihr und meiner Lydia von meinen neuesten Entdeckungen und versetzte damit beide in höchstes Entzücken und zugleich in höchste Erregung. Denn sie begannen umgehend, mich mit dem allergrößten Eifer zu bedrängen, die Gelegenheit doch beim Schopf zu packen und nicht zuzuwarten, bis es zu spät sei, und ließen meine Einwände, wie zum Beispiel den, daß ich im Gegensatz zu ihnen noch fast nichts geschlafen hätte und entsprechend müde sei, überhaupt nicht gelten.
Naja, was soll ich sagen? Das Ende vom Lied war, daß ich mich von meinen zwei Süßen komplett breitschlagen ließ. Ich sagte mir: Schlafen kann ich höchstwahrscheinlich eh nicht, und vielleicht haben sie damit sogar recht, daß wir lieber nicht zuwarten sollten. Wer weiß, was noch alles dazwischenkommen kann! Wer weiß, wieviel wir noch zu graben haben werden! Und wer weiß, vielleicht können sie's doch nicht erwarten, bis sie uns für unsere Missetaten büßen lassen, die Schweine, und kommen mit ihrer Verstärkung gleich postwendend wieder zurück und nicht erst in der nächsten Nacht! Und dann mußte ich wieder an den bitterbösen, haßerfüllten und rachelüsternen Abschiedsblick von Schwein Nummer 3 denken, und da war ich endgültig geheilt. Also sagte ich zu allem ja und amen und wurde dafür auf der Stelle mit einer weiteren Doppelumarmung, Marke Liebe pur, belohnt. Dadurch einigermaßen getröstet, gestärkt und ermutigt, machte ich sie aufmerksam, daß wir uns die weitere Vorgangsweise ganz genau überlegen müßten, wenn unser Unternehmen von Erfolg begleitet sein solle. Das taten wir dann auch und einigten uns schließlich darauf, uns wieder unser eigenes Gewand anzuziehen, auch wenn es noch so schmutzig und zerrissen sei, und vor allem die Fundamentalistenschlapfen, die wir seit unserem unfreiwilligen Einzug hier anhatten, durch unsere eigenen festen Schuhe zu ersetzen; das heißt, Lydia und ich hatten halbwegs feste Schuhe, während Myriam an jenem verhängnisvollen Abend leider nur ganz leichte Sandalen angezogen hatte. Aber die waren immer noch besser als Hausschlapfen. Außerdem füllten wir einen der inzwischen leeren Säcke mit frischen, unzerquetschten Fressalien und einen zweiten mit Mineralwasserflaschen. Diesen würde ich tragen, den anderen abwechselnd Lydia und Myriam. Und das war's auch schon. Ich hob nur noch die Lyra und meine brave Trompete liebevoll auf und betrachtete besonders letztere mit zärtlichen Gefühlen. Dann nahmen wir im Geist von unserer Ferienwohnung Abschied, und ich
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