Geliebte Myriam, geliebte Lydia
hätten. Und entweder aus Langeweile, oder um sich ein wenig abzulenken, hätten sie, wie erwähnt, in seinem 'Gift Shop' eingekauft wie die Wilden. Und wie lange seien sie eigentlich noch hier in Luxor geblieben? Noch mehr als einen ganzen Tag. Erst am Nachmittag des nächsten Tages sei aus Kairo ein Ersatzreiseleiter eingetroffen, den Mister Mohammed geschickt habe, nachdem er ihn von unserem Verschwinden informiert habe, und der sei dann mit dem Rest der Gruppe nach Assuan weitergefahren; aber er glaube nicht, daß die dort oder unterwegs noch viel besichtigen konnten, denn soviel er wisse, sei in der darauffolgenden Nacht bereits der Rückflug nach Europa gewesen. Und mit den Zimmern habe es keine Probleme gegeben? Schließlich habe sie meine Gruppe ja eine Nacht länger benutzt als vorgesehen. Nein, mit den Zimmern habe es keine Probleme gegeben. In früheren Jahren ... ja, aber jetzt kämen ja kaum noch Touristen nach Ägypten. Und heute sei alles voll? So daß ich in einem Abstellkammerl hausen müsse?
Auf diese Frage wurde er plötzlich feuerrot und begann herumzustottern, so daß ich schon fürchtete, er habe auf einmal sein ganzes Englisch verlernt, und er beteuerte, jawohl, gerade heute sei er ausgebucht, und es tue ihm unendlich leid, daß ich in diesem Abstellkammerl wohnen müsse; eigentlich habe er ja gedacht, meine ägyptische Reiseleiterin werde in ihm wohnen. Aber morgen werde bestimmt ein Zimmer frei werden, und wenn ja, so werde er es mir selbstverständlich zur Verfügung stellen. Übrigens sähe ich auch nicht besonders gut aus, und ich sollte mich ebenfalls ärztlich untersuchen lassen; der Arzt, den er habe rufen lasse, müsse eigentlich jeden Augenblick da sein.
Und damit verabschiedete sich Mister Philippe mit auffälliger Hast - auffällig deshalb, weil er doch eben noch für mich unbegrenzt Zeit zu haben schien - und überließ mich meinem Schicksal. Das war mir an und für sich nur recht, denn, wie gesagt, mein Magen knurrte entsetzlich, und ich war ja eigentlich heruntergekommen, um dieses Knurren irgendwie zu besänftigen. Also drehte ich mich auf der Stelle um und machte mich auf in Richtung Futtertrog. Und dabei fiel mein Blick wieder auf das dicke Kuvert, das ich in der Hand hielt, und ich mußte daran denken, was laut Mister Philippe in ihm drin war, und begriff erst jetzt so richtig, daß ich damit zumindest eine Sorge weniger hatte: wir waren damit nicht mehr total abgebrannt, und wir hatten jetzt wenigstens einen Fundus zum Bakschischgeben, was in diesem Land ja so unheimlich wichtig ist.
Jawohl, zum Schnabulieren gab's schon was Gutes, auch für mich allein, und dazu einen herrlichen Tee, und von diesem schüttete ich unglaubliche Mengen in mich hinein, und ich fühlte, wie meine Lebensgeister allmählich wiedererwachten oder vielleicht sogar wiedergeboren wurden, und sowas nennt man bekanntlich eine Renaissance, nicht wahr? Nach einiger Zeit trudelten meine zwei Süßen ein, und ich erkannte sie fast nicht wieder, so groß war der Unterschied zwischen vorher und nachher. Eine Ausnahme waren nur Lydias blutverkrustete Haare; die hatte sie sich noch nicht zu waschen getraut. Jetzt erkannte ich erst wieder, wie hübsch sie eigentlich waren, meine zwei Süßen, und wie attraktiv und wie sexy; das hatte ich nämlich in den letzten Tagen total vergessen. Allerdings sahen sie zur Zeit alles andere als gesund aus, und sie hatten auch gar keinen übermäßigen Appetit, sondern stocherten nur relativ lustlos in ihrem Essen herum und waren hauptsächlich damit beschäftigt, eine Tasse Tee nach der anderen zu leeren. Trotzdem empfanden wir alle drei diese Abfütterung als phantastisches Festmahl; denn wann hatten wir zum letzten Mal auf ähnlich zivilisierte Weise, gebadet, geschneuzt und gekämmt und in saubere, unzerrissene Gewänder gehüllt, an einem sauberen, mit einem weißen Tischtuch gedeckten Tisch sitzend und von dienstbaren Geistern bewirtet, getafelt?
Mitten in dieses phantastische Festmahl platzte der Herr Doktor, hereingeleitet vom Lachenden Buddha. Als er hörte, daß meine zwei Süßen an Diarrhöe litten - so nennt man das ja in zivilisierten Gegenden, nicht wahr? -, da pudelte er sich gleich fürchterlich auf und verbot ihnen das ganze gute Essen, in dem sie eh nur ein wenig herumgestochert hatten, und verordnete ihnen viel Tee, den sie sowieso schon literweise getrunken hatten. Dann besah er sich Lydias Köpfchen und erklärte, die Wunde nähen zu müssen. Und damit
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