Geliebte Myriam, geliebte Lydia
gesamte Schmuck, den der gute Serapion übriggelassen hatte, lag, soweit ich das nach dem bloßen Augenschein beurteilen konnte, unangetastet drinnen, und ebenso lag die Papyrusrolle mit den Bekenntnissen des Epiphanios unangetastet drinnen. Da überwog in dem Widerstreit zwischen Freude und Wut mit einemmal die Freude, und ich machte den Truhendeckel behutsam wieder zu, legte die Lyra wieder zurück, setzte die Trompete aber an die Lippen und begann aus Leibeskräften hineinzublasen und spielte nach einigen Probetönen ungeniert die Bundeshymne - die österreichische, wohlgemerkt! Die ägyptische kenn' ich ja nicht. Und ihr glaubt gar nicht, wie wohl mir das tat! Leider fand Ruschdi das nicht gar so witzig; jedenfalls stand er plötzlich neben mir und fuchtelte so lange aufgeregt mit den Händen, bis ich die Bundeshymne fertiggeblasen hatte und die brave Trompete absetzte. Daraufhin fuchtelte er zwar nicht mehr, rügte mich aber ein wenig wegen meiner mangelnden Ehrfurcht vor diesen archäologischen Kostbarkeiten. Naja, ich steckte seine Rüge wortlos und mit einem verständnisvollen, wenn auch vielleicht etwas säuerlichen Schmunzeln ein und legte meine brave Trompete wieder an ihren Platz zurück. Ich hätte ihm natürlich erzählen können, was sie für mich bedeutete und welche unersetzlichen Dienste sie mir schon geleistet hatte, aber darüber wäre er zu dem Zeitpunkt vielleicht nur noch schockierter gewesen. Das hab' ich ihm erst später erzählt.
Im übrigen war's angeblich bereits höchste Zeit abzumarschieren, und ich möge bitte den Abmarsch nicht aufhalten. Aha, jetzt hielt also ich den Abmarsch auf! Aber bitte, an mir sollte es nicht liegen! Und ich folgte ihm widerspruchslos zu Ibrahim und Ruschdi zurück, die gerade dabei waren, gemeinsam und unter Aufbietung aller ihrer Kräfte dem Verwundeten, unserem Freund und Helfer, diesem Schwein, auf die Beine zu helfen. Dem verursachte das offensichtlich zusätzliche Schmerzen, denn er stöhnte fürchterlich und verdrehte die Augen. Und dann stand er endlich auf den eigenen Füßen, wenn auch zu beiden Seiten von Achmad und Ibrahim gestützt; und da fiel sein Blick zum ersten Mal auf mich, und gleichzeitig verzerrte sich seine Miene, und er sagte zwar nichts, warf mir aber einen unaussprechlich haßerfüllten Blick zu, so daß es mir abwechselnd heiß und kalt über den Rücken herunterlief. Aber wie gesagt, er gab keinen Laut von sich, und ich gab keinen Laut von mir; und ich bezweifle, ob die anderen diese stumme Kommunikation überhaupt registriert haben. Aber was anderes registrierten sie, nämlich daß ich mein Schießeisen inzwischen weggesteckt hatte, und das war anscheinend überhaupt nicht in ihrem Sinn, denn sie ließen mir durch Ruschdi ausrichten, ich möge es doch bitte wieder herausholen und damit ganz speziell auf den Herrn Inspektor aufpassen, sprich: ihn damit bedrohen.
Na gut, so erfüllte ich ihnen halt ihren Herzenswunsch, und sobald sie das sahen, marschierten sie auch schon los, der Verwundete, wie erwähnt, in ihrer Mitte. Ich hatte also hinter ihnen mit gezücktem Schießeisen den Herrn Inspektor der Altertümer vor mir her zu treiben, und als letzter folgte Ruschdi nach. Das ging ganz gut, oder sagen wir: ohne weitere Probleme, solange wir uns noch innerhalb der Hotelsuite bewegten. Aber sobald deren Eingang erreicht war, wo ich's übrigens nicht versäumte, nach gewissermaßen alter Gewohnheit einen 'sehnsüchtigen' Blick auf die lange griechische Inschrift darüber zu werfen, die sich ja dann tatsächlich als so unerhört wertvoll erwiesen hatte - sobald wir also die Hotelsuite hinter uns gelassen hatten und daran gingen, in den engen Gang einzudringen, da fingen die Probleme an. Jetzt konnten nämlich nicht mehr drei nebeneinander gehen, und es kostete Achmad und Ibrahim die allergrößte Mühe, ihrem entsetzlich stöhnenden Schutzbefohlenen bis zur Abzweigung zu bugsieren. Aber dann wurde es erst so richtig happig - und wer war schuld daran? Richtig: ich selber zusammen mit meinen zwei Süßen. Wir hatten ja den zugewehten Gang nur so weit freigelegt, daß man bequem auf allen vieren durchkrabbeln konnte, nicht wahr? Wie konnte man nun von einem an der rechten Schulter Angeschossenen verlangen, daß er da auf allen vieren hindurchkrabbelt, noch dazu 'bequem'? Natürlich hätte man sagen können: selber schuld, hätte er halt mit dem Herrn Inspektor der Altertümer zusammen lieber zuerst diesen Gang zur Gänze ausgeschaufelt,
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