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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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uns mitschieben lassen. Wir ließen uns aus dem Zug und durch das Bahnhofsgebäude und auf den Bahnhofsvorplatz hinausschieben, und erst da hörte die Schieberei auf, und wir atmeten erleichtert auf, denn nun zerstreute sich die Menge in alle Richtungen, je nachdem, wo ein jeder seinem Feiertagsvergnügen nachzugehen gedachte.
    Ja, und wo gedachten wir nun unserem Feiertagsvergnügen nachzugehen? Na, wenigstens hatten wir einen Führer, noch dazu einen sehr vornehm gewandeten - obwohl bei genauerer Betrachtung die vornehme Gewandung inzwischen leider Gottes etwas zerknittert war. Er führte uns kreuz und quer durch die schmalen Gassen des Städtchens, die, wie mir alsbald auffiel, nicht anders als in Manhattan alle schnurgerade verlaufen und sich im rechten Winkel kreuzen, an einem wunderschönen, sehr gepflegten Park vorbei bis fast an den Stadtrand; und dort begann sofort die Wüste. Herr Girgis erklärte uns, daß Heluan eigentlich eine künstliche Oase sei; man habe sie geschaffen, indem man von weither Gartenerde herangekarrt habe. Hier in der Nähe befinde sich übrigens das Kurheim, in dem seine verstorbene Frau behandelt worden sei.
    'Ah, und wo unsere Myriam ihren zukünftigen Ehemann kennengelernt hat?' unterbrach ich ihn.
    'Das ist richtig!' antwortete er scheinbar seelenruhig; aber mir blieb nicht verborgen, daß er in Wirklichkeit auf einmal ziemlich nervös war. 'Er war dort Pfleger, und da Myriam eine über die Maßen brave Tochter war und ihre kranke Mutter, sooft es ihr möglich war, besuchen fuhr, hatte er reichlich Gelegenheit, sie zu sehen und sich an sie heranzumachen, sogar wenn er frei hatte. Sein Elternhaus liegt nämlich ganz nah bei diesem Kurheim. Wir werden gleich dort sein.'
    Wir werden gleich dort sein! Das klang fast so, als hätte ein Verurteilter, der zum Galgen geführt wird, gesagt: 'Wir werden gleich dort sein.' Nun spürte ich, wie ich selber nervös oder aufgeregt wurde und wie mein Herz laut und immer lauter zu klopfen begann, und mußte mich fest an meiner Lydia anhalten; und dabei wurde mir bewußt, daß es ihr auch nicht anders ging.
    Und plötzlich machte unser Führer vor einem reichlich schäbigen, doppelstöckigen Haus halt, schaute uns auffallend lang an und sagte schließlich nur ein Wort, nämlich 'ftásame' - das heißt so viel wie 'wir sind da'. Sodann gab er sich sichtlich einen Ruck und drückte auf die Klingel. Ich weiß noch genau, was ich mir dachte, während wir dort vor der Eingangstür dieses eher ärmlichen und ziemlich ungepflegt wirkenden Hauses warteten: Und hier wohnt jetzt also meine Myriam? Hinter solchen unansehnlichen Mauern muß sie nun ihr restliches Leben verbringen - sie, die's verdient hätte, in einem Palast zu wohnen? Wie in einem Verlies, tyrannisiert von einem lieblosen und wahrscheinlich strohdummen Ehemann?
    Man ließ uns nämlich ganz schön lang warten, und der Herr Girgis mußte noch ein zweites und ein drittes Mal auf die Klingel drücken. Sie funktionierte aber; man hörte ihr Klingeln leise, aber deutlich genug heraus. Endlich hatte man doch Erbarmen mit uns; Schritte wurden hinter der Tür laut, und dann hörte man, wie sich im Schloß der Schlüssel drehte, die Tür ging einen Spalt auf, und ... nein, es war nicht Myriams Kopf, der im Spalt sichtbar wurde - leider nein; sondern es war der Kopf eines Bürschchens undefinierbaren Alters, der uns mit großen Augen musterte. Es folgte ein kurzer Dialog zwischen ihm und Herrn Girgis, und dann machte das Bürschchen mit unbewegter, gleichmütiger Miene die Tür ganz auf, und Herr Girgis trat ein und deutete uns, wir mögen nachkommen. Wir traten also ebenfalls ein, und jetzt begann mein Herz fortissimo zu schlagen, und ich machte mich bereit auf ein unmittelbar bevorstehendes Wiedersehen mit 'meiner' Myriam - unter den gestrengen, ja, mißgünstigen und eifersüchtigen Augen ihres Haustyrannen. Wie sollte ich mich also verhalten, um einerseits der Myriam zu zeigen, wie sehr ich sie nach wie vor ... naja, wie sehr ich sie eben nach wie vor liebte, und andererseits ihren allerwertesten Haustyrannen nicht auf die Idee zu bringen, daß ... naja, daß eben zwischen ihr und mir was gewesen sein könnte? Und ich warf einen vorsichtigen Seitenblick auf Lydia, so, als ob sie mir irgendeinen Rat geben könnte, und merkte an ihrer Miene, daß sie sich ähnlich unbehaglich fühlen mußte wie ich; sie machte mir sogar den Eindruck, als hätte sie selber einen diesbezüglichen Rat dringend nötig -

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