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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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Kanzel oder, genauer, dem frühchristlichen Ambo, wie wir ihn heute schon in der Hängenden Kirche gesehen hätten, und heiße daher auf deutsch auch Freitagskanzel; bekanntlich sei ja der Freitag der islamische Sonntag, wenn man so sagen dürfe.
    Was man in einer Moschee ebenfalls vergeblich suche, das seien Heiligenfiguren und Heiligenbilder und überhaupt die Darstellung von Menschen; es werde ja auch Mohammed nicht bildlich dargestellt und schon gar nicht Gott, Allah. Daher sei als einziges Motiv künstlerischer Darstellung, wie man schon bei einem flüchtigen Rundblick leicht feststellen könne, nur das Ornament übriggeblieben. Dieses sei dafür zu einem Motivreichtum und einem Grad an Schönheit und Feinheit entwickelt worden, daß die häufigste Abart des Ornaments, nämlich das pflanzliche Rankenwerk, bei uns als Arabeske bekannt geworden sei. Was übrigens in einer Moschee ebenfalls völlig unbekannt sei, sei Musik in jeglicher Form.
    An dieser Stelle wurde ich erneut unterbrochen, aber diesmal nicht durch Zwischenrufe, sondern indirekt durch einen jüngeren Mann, der kurz zuvor die Moschee betreten hatte, in einiger Entfernung vor der Gebetsnische stehengeblieben war und sich eben anschickte, seine Gebetsübungen zu verrichten; und das war natürlich hochinteressant zum Zuschauen, und besonders immer dann, wenn er sich vor Allah zu Boden warf.
    Als der Beter geendet hatte, ersuchte ich meine Zuhörer aufzustehen, und jetzt machten wir noch einen kleineren Rundgang durch die Moschee und betrachteten und besprachen in aller Gemütsruhe noch das eine oder andere Detail; und es empfanden alle als höchst angenehm, daß einen keiner hetzte und jeder nach Herzenslust schauen und Fragen stellen konnte. Und so mag es schon fünf Uhr vorbei gewesen sein, als wir endlich wieder in den großen Moscheehof hinaustraten, um unsere Überschuhe zurückzugeben - ja, und auch, um uns wieder unter Salams Fittiche zu begeben. Aber wo war er denn? Ich rief 'Salam!', und die Überschuhvermieter und noch ein paar andere riefen zu meinem Erstaunen ebenfalls 'Salam!', so, als ob sie erraten hätten, daß wir unseren Führer suchten. Aber er tauchte nirgends auf. Naja, dann wird er halt auf dem Vorplatz draußen warten! Dieser war voll mit sonntäglichen Spaziergängern, aber Salam war nirgends zu sehen. Also rief ich laut 'Salam!', und meine Leute halfen mit und riefen ebenfalls 'Salam!' Nun? Naja, Salam tauchte zwar nicht auf, aber viele von den Spaziergängern stimmten in unser Schreien ein und riefen ebenfalls 'Salam!', und manche winkten uns dabei sogar freundlich zu. Na, komisch! Vielleicht ist er auf der anderen Seite der Moschee? Ich setzte mich in Bewegung und ersuchte meine Leute, mir zu folgen, und so umwanderten wir den ganzen Riesenbau und entdeckten dort einen richtigen kleinen Park; und der war erst voll mit Menschen, vor allem Familien mit vielen Kindern! Ja, und auch Liebespärchen gab's da zuhauf, die alle recht keusch und züchtig und maximal händchenhaltend herumschlenderten oder herumhockten oder einander fotografierten. Na, hier wird er garantiert sein! Während wir uns langsam durch die Massen müßiger Menschen bewegten, begannen wir wieder 'Salam!' zu rufen - und was geschah? Genau das gleiche wie vorhin! Alle Liebespärchen und Großfamilien riefen ebenfalls wieder 'Salam!' und winkten uns zu und lachten uns fröhlich zu, und es war ein unbeschreibliches Hallo - ihr könnt euch das überhaupt nicht vorstellen! Naja, jetzt ging mir endlich ein Licht auf, und ich erinnerte mich an das, was ich bei der Schwester Sara gelernt hatte, nämlich daß 'Salam' eigentlich 'Friede' bedeutet und deshalb gern als Gruß gebraucht wird. Und so haben also die alle unseren Ruf 'Salam!' als Gruß aufgefaßt und gedacht, jö, sind das aber freundliche Touristen! Ja, ja, so geht's!
    Übrigens überflüssig zu erwähnen, daß Salam auch hier nicht auftauchte. Aber ein Gutes hatte diese mißglückte Suchaktion doch. Wir entdeckten auf diese Weise, daß man vom andern Ende des Parks aus ein herrliches Panorama über ganz Kairo hat; zugleich aber war bestürzend deutlich die entsetzliche Luftverschmutzung dieser Riesenstadt zu erkennen.
    Und was jetzt? Am besten zum Bus zurück, würde ich sagen. Also machten wir kehrt und durchquerten ein zweites Mal die sonntäglichen Massen, und jetzt waren die's, die uns fröhlich 'Salam!' zuriefen, und wir waren die, die mit einem ebenso fröhlichen 'Salam!' antworteten. Das gleiche geschah

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