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Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Geliebte Myriam, geliebte Lydia

Titel: Geliebte Myriam, geliebte Lydia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Plepelits
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auffallend regelmäßigen Böschungen. Dieser Fluß war, wie Myriam erklärte, gar kein wirklicher Fluß, denn in Ägypten gebe es ja nur den Nil, und der habe in ganz Ägypten und auch schon im ganzen nördlichen Sudan keinen einzigen Zufluß, wenn man von einzelnen Wadis absehe, die vielleicht einmal in zehn Jahren Wasser führten. Nein, das sei einer der zahllosen künstlichen Bewässerungskanäle, die seit der altägyptischen Zeit das ganze Fruchtland durchziehen und außer der Bewässerung noch den verschiedensten Zwecken dienen. Und während wir nun langsam an dem Dorf vorbeifuhren, konnten wir wie von einem Logenplatz aus dem Leben und Treiben an beiden Ufern des Kanals zuschauen. Sie wimmelten nämlich von nonnenartig gekleideten Frauen und etwas weniger nonnenartig gekleideten kleinen Mädchen. Und was trieben die denn da alle? Nun, die einen waren hingebungsvoll mit Wäschewaschen beschäftigt, andere waren dabei, Unmengen von Blechtöpfen und sonstigem Geschirr zu spülen, wieder andere füllten große Blech- oder Plastikkübel und Tonkrüge mit Wasser und trugen sie anschließend in eleganter Haltung auf dem Kopf nach Hause, und dazwischen hockte hie und da ein kleines Mädchen am Wasser und machte offenkundig Pipi.
    Und dann bogen wir plötzlich ab und fuhren auf die gelben Wüstenhänge zu, die ständig den westlichen Horizont begrenzt hatten. Genau an der Stelle, wo das Fruchtland schlagartig in Wüste übergeht und die Straße anzusteigen beginnt, versperrte ein Schranken die Straße. Nanu? Wintersperre? Schneeverwehungen? Lawinengefahr? Nein, natürlich nichts dergleichen. Sondern Myriam mußte aussteigen und in einem Hütterl die Eintrittskarten für uns lösen. Daraufhin ging der Schranken in die Höhe, und nur wenige Minuten später standen wir, zunächst wohl leicht gelangweilt, vor der sogenannten Stufenpyramide; und erst, als Myriam mit ihren Erklärungen begann und uns belehrte, daß diese eines der größten Wunder sei und als ältester Monumentalbau Ägyptens und sehr wahrscheinlich der ganzen Welt, der aus rechtwinklig zugehauenen und regelmäßig geschichteten Steinen errichtet worden sei, einen ganz einzigartigen Rang in der Geistesgeschichte der Menschheit einnehme, stellte sich bei allen die gebührende Ergriffenheit ein. Und im Laufe der Besichtigung der zum Teil restaurierten Nebengebäude und eines Rundgangs durch den unheimlich ausgedehnten Bautenkomplex rund um die Stufenpyramide stieg besagte Ergriffenheit, glaub' ich, ins Unermeßliche.
    Zum Ausgleich führte uns Myriam anschließend zu einer lieben, kleinen Pyramide und nicht nur zu ihr, sondern sogar in sie hinein. Dabei taten sich einige zwar ein bisserl schwer, weil der Gang, der ins Innere der Pyramide führt, zum Teil recht steil bergab führt, und noch mehr, weil man fast den ganzen Weg gebückt gehen muß; nur Florian genoß das Privileg, aufrecht gehen zu können, und wurde deshalb vom Götzi, und vermutlich nicht nur von ihm, glühend beneidet. Und wozu dieses Martyrium? Um an den Wänden der Sargkammer, in der man dann wenigstens wieder aufrecht stehen kann, die allerältesten Pyramidentexte zu lesen. Naja - 'lesen' ist vielleicht zuviel gesagt, denn wir waren natürlich alle Analphabeten, alle außer Myriam, und die übersetzte uns liebenswürdigerweise einiges davon. Nun, es handelt sich halt um Gebete oder magische Formeln (falls da überhaupt ein Unterschied ist), die anscheinend den verstorbenen Pharao gegen Schlangen und böse Geister stärken sollen; von denen wimmelt's nämlich laut Myriam in der Unterwelt. Aber eigentlich waren wir vom Inhalt dieser Texte gar nicht so furchtbar beeindruckt. Was hingegen alle restlos bewunderten, das war die Tatsache, daß Myriam, unsere charmante und liebenswürdige Führerin, nicht nur charmant und liebenswürdig, sondern anscheinend wirklich imstande war, in diesen geheimnisvollen Zeichen - Vögeln, Kaninchen, Bienen, Käfern, Kaulquappen, Schlangen, Blumen, hockenden Menschen, Ziegen mit Glocken um den Hals und verschiedensten bizarren Symbolen - überhaupt irgendeinen Sinn zu erkennen und uns diesen sogar auszudeutschen. Und wäre die Luft besser gewesen, hätte sie sicher einer von uns gefragt, wie denn die Hieroglyphen zu lesen seien und ob das nun Wortsymbole wie im Chinesischen seien oder Buchstaben; und Myriam scheint selber gespürt zu haben, daß diese Frage in der dicken Luft liegt, denn sie versprach uns abschließend, uns gelegentlich die Hieroglyphen zu

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