Geliebte Rebellin
eine heftige Röte in ihren Wangen aufsteigen. »Du glaubst im Ernst, Mr. St. Ives hätte mich geküsst? Was hat dich bloß auf diese verrückte Idee gebracht?«
»Als ich letzte Nacht in dein Schlafzimmer gekommen bin, um dich nach deinen Abenteuern auszufragen, warst du nicht so wie sonst. Du warst . . .« Ariel zögerte, und ihr war deutlich anzumerken, dass sie nach dem richtigen Wort suchte. »Anders.«
»Anders?«
»Du hast überhitzt gewirkt. Du hast geradezu geglüht. Ariel machte mit einer Hand eine vage Geste. »Und auch ein wenig zerzaust. In deinen Augen war ein ganz merkwürdig Ausdruck gelegen.«
»Also, wirklich, Ariel, das geht zu weit. Ich kam gerade von einer sehr aufwühlenden Begegnung mit einem außerordentlich gewalttätigen Schurken zurück. Was, zum Teufel erwartest du eigentlich? Wie hat man denn nach eine solchen Erlebnis deiner Meinung nach auszusehen?«
»Ich kann nicht beurteilen, wie eine durchschnittliche Dame aussieht, nachdem sie knapp einem Schurken entkommen ist, aber ich weiß ganz genau, wie du in dem Moment aussiehst.«
»Was soll das heißen? Ich habe bisher noch nie persönlich mit Schurken zu tun gehabt.«
»Es war nicht das erste Mal, zumindest an einen Fall erinnere ich mich noch ganz deutlich.« Ariel stellte ihre Tasse behutsam auf die Untertasse. »Es war vor fünf Jahren, in der Nacht, in der Winterbourne von einem Wegelagerer die Kehle aufgeschlitzt wurde. In jener Nacht habe ich dich draußen im Flur gehört. Du hast Papas Pistole benutzt, um Winterbourne und einen seiner Zechkumpanen aus dem Haus zu jagen.«
Charlotte starrte sie an. »Mir war nicht klar, dass du weißt, was sich in jener Nacht abgespielt hat.«
»Damals habe ich es noch nicht ganz durchschaut, und wirklich begriffen habe ich es erst, als ich wesentlich älter war. Aber selbst damals war ich mir sicher, dass du eine sehr gefährliche Situation gemeistert hast. Und ich habe den Ausdruck gesehen, der hinterher in deinen Augen gestanden hat. Das war nicht derselbe Ausdruck, den ich letzte Nacht in deinen Augen gesehen habe.«
»Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du jemals in vollem Umfang erfährst, wie unglaublich verrucht Winterbourne war.«
»Aber sein Begleiter war doch ein noch viel üblerer Kerl als er, oder nicht?«
Die Erinnerung ließ Charlotte erschauern. »Er war das reinste Ungeheuer. Aber seitdem ist viel Zeit vergangen, Ariel. Und wir haben es beide unbeschadet überstanden.«
»Die Sache ist nur die, dass ich mich noch ganz deutlich an dein Benehmen in jener Nacht erinnern kann. Du hast dich eiskalt angefühlt. Und deine Augen waren starr.«
Charlotte rieb sich die Schläfen. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich war außer mir vor Entsetzen. Das ist das einzige, woran ich mich noch erinnern kann. Meine Gemütsverfassung ist mir nicht im Gedächtnis geblieben.«
»Auch letzte Nacht hat man dir einen großen Schrecken eingejagt. Aber du warst nicht kalt. Deine Augen waren alles andere als trüb. Tatsächlich warst du aufgekratzt und angeregt und nahezu überschwenglich.«
»Was willst du damit sagen, Ariel?«
»Die Sache ist die, dass ich glaube, Mr. St. Ives hat dich geküsst«
Charlotte rang stöhnend die Hände. »Also, gut, er hat mich geküsst Wir waren beide aufgeregt und überspannt, aber das geht ausschließlich auf die Vorfälle in der letzten Nacht zurück. Manchmal kann die Gefahr eine solche Wirkung auf die Sinne ausüben, verstehst du.«
»Ach, ja?«
»Ja«, sagte Charlotte mit fester Stimme. »Die Dichter handeln dieses Problem ständig ab. Sogar die Sinne eines Menschen, der normalerweise sehr sachlich und kühl ist, einen klaren Kopf hat und nicht zu heftigen Leidenschaft neigt, können durch ein spannendes Erlebnis überreizt werden.«
»Sogar die Sinne eines Menschen wie Mr. St. Ives?«
»Ich habe eigentlich eher von mir selbst gesprochen. Charlotte lächelte kläglich. »Mr. St. Ives ist ebenfalls kühl und sachlich und hat einen klaren Kopf, aber man kann ihm deutlich ansehen, dass er in einem hohen Maß Selbstdisziplin ausüben muss, um diesen gelassenen Zustand aufrechtzuerhalten.«
Ariels Lippen öffneten sich vor Erstaunen. »Wie bitte?«
»Unter diesem strengen und gesetzten Äußeren schlummert ein Naturell, das zu bedrohlich heftigen Leidenschaften neigt.«
»Heftige Leidenschaften? Mr. St. Ives?«
»Ich weiß, dass ich anfangs gewisse Bedenken geäußert habe, aber jetzt glaube ich nicht mehr, dass uns seine Veranlagung
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