Geliebte Suenderin
möchte nicht stören, wo ich nicht erwünscht bin. Einen schönen Nachmittag wünsche ich Euch.«
Er nahm seinen Hut und seine Handschuhe und ging schnell aus dem Zimmer, in militärischer Haltung.
Mary ließ sich auf die Kante der Sitzbank fallen, ihr Mund zitterte. Was konnte denn noch alles passieren? Sie hatte naiver-weise geglaubt, ihre Sorgen wären vorbei, aber waren sie das wirklich?
Sie nahm sich mit Gewalt zusammen und machte sich auf die Suche nach Sabrina. Sie fand ihre Schwester in ihrem Zimmer, nervös hin und her laufend und sich die Unterlippe nagend. Sie hob erwartungsvoll den Kopf, als Mary hereinkam. »Ist er fort?« fragte sie. »Mein Gott, ich hätte nie geglaubt, daß ich sein Gesicht noch einmal sehen würde.«
»Du hast mir nie erzählt, daß du einem englischen Offizier begegnet bist, Rina.«
»Warum auch? Nichts ist passiert, und außerdem hatten wir es an diesem Tag sehr eilig. Später hab’ ich ihn dann vergessen.
Zumindest bis vor ein paar Minuten, als ich mich plötzlich an alles erinnerte. Seltsam, wie ein Gesicht so viele Erinnerungen wecken kann.«
Mary nickte, dann fragte sie verwundert: »Warum wolltest du Colonel Fletcher nicht erzählen, daß wir in Schottland waren?«
»Je weniger der Mann weiß, desto besser. Er ist hier, um Bonnie Charlie zu fangen. Glaubst du nicht, es wird ihm zu denken geben, daß eine schottische Familie in derselben Gegend wohnt, in der ein offensichtlich schottischer Bandit am Werk ist? Ich frage mich, wie lange er brauchen wird, bis ihm dieser Zufall verdächtig vorkommt?«
»O Gott, daran hab’ ich gar nicht gedacht«, gab Mary besorgt zu.
Sabrina lächelte. »Jetzt hilft ihm das nicht mehr viel. Bonnie Charlie existiert nicht mehr, welche Beweise sollte also der gute Colonel sammeln können, und wer würde ihm denn schon glauben?«
Mary atmete erleichtert auf. »Du hast immer eine Antwort parat, Rina. Ich weiß wirklich nicht, was wir ohne dich tun würden.«
Sabrina lachte. »Du würdest ein sehr geordnetes Leben führen, ohne die Sorgen und Mühen, die ich dir immer gemacht habe.«
Mary schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich fürchte, das wäre mir nach dem Leben, das wir in den letzten Jahren geführt haben, zu langweilig.«
Jetzt ist der Teufel los.
John Heywood
KAPITEL 7
Eine schwerfällige Kutsche mit der Familie Verrick an Bord begann ihre Reise nach London, ruckelte über die staubigen, von der Sonne gebackenen Lehmstraßen, durch uralte Weiler und malerische Dörfer an trägen Flüssen. Nur wenige Wegweiser führten durch diese namenlosen, jahrhundertealten Behausun-gen eines Volkes, das sich nur wenig verändert hatte, seit es sich vor Königin Elizabeth I. verneigt hatte.
Richard hampelte nervös auf seinem Sitz herum, während Tante Margaret nähte und Hobbs in einer Ecke döste. Mary war still und nachdenklich und sah mit leicht gerunzelter Stirn aus dem Fenster.
»Machst du dir um etwas Sorgen, Mary?« fragte Sabrina, als sie sah, wie ruhelos Marys Hände waren.
Mary erschrak schuldbewußt. »Sorgen? Natürlich nicht, ich bin nur ein bißchen nervös wegen London und der Brille, die wir für Richard kaufen müssen«, erklärte sie wenig überzeugend. Sie merkte an Sabrinas eindringlichem Blick, daß sie ihr nicht glaubte, aber sie wußte nicht, was sie sonst hätte sagen können und wandte sich wieder der Aussicht zu.
Sabrina beobachtete sie noch einen Augenblick, dann schaute sie auch aus dem Fenster. Sie fuhren gerade über eine Kreuzung, und Sabrina, die wußte, was sie da erwartete, wandte den Blick ab, als sie an dem Galgen vorbeikamen, an dem oft ein unglücklicher Straßenräuber baumelte - eine Warnung an alle Reisenden, sich in acht zu nehmen.
Sabrina schluckte, die Angst vor einer Gefangennahme verfolgte sie immer noch in ihren Träumen und Gedanken. Der Galgen war so nahe an der Kutsche gewesen, daß selbst Richard ihn hatte sehen können, und er nahm Sabrinas Hand und drückte sie ängstlich. Sabrina erwiderte den Druck mit einem Lächeln und atmete auf, als sie aus dem kleinen Tal herausfuhren und über die Spitze eines Hügels verschwanden.
Nach dem Zwölfuhrläuten machten sie zum Essen Rast in einem Gasthof. Die Kutsche fuhr in den geschäftigen Hof des King’s Carriage Inn ein, und Knechte liefen ihnen entgegen, die sich um ihre Pferde kümmerten. Sie mieteten sich ein Nebenzim-mer für ihre Mahlzeit, der Kaffeeraum war zu laut und voll mit den verschiedensten Reisenden, die mit den
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