Geliebte Suenderin
sich gestreckt.
»Sie war damals noch ein Kind, höchstens elf oder zwölf, denke ich, und trotzdem mit einer geladenen Pistole, mit der sie direkt auf mein Herz zielte.«
»Das ist absurd«! sagte Sabrina verächtlich.
»Wirklich?« Der Colonel schüttelte den Kopf. »Ich muß zugeben, ich hatte nicht erwartet, Euch noch einmal wiederzuse-hen. Ich fragte mich sogar, ob Ihr überlebt habt. Das Schloß Eures Großvaters war verlassen, als meine Männer es endlich erreichten, und zu ihrer großen Enttäuschung fand sich kaum etwas von Wert.«
Er sah neugierig von einer schweigenden Schwester zur anderen. »Seid Ihr daran interessiert, was aus dem Schloß geworden ist und was mit Eurem Großvater passierte?«
Mary ließ den Kopf hängen und zupfte nervös an ihrem Kleid herum, während Sabrina den Colonel wutentbrannt anstarrte.
»Nachdem Ihr es anscheinend vergessen habt, Lady Sabrina, laßt mich Euer Gedächtnis auffrischen. Ich erinnere mich nur allzu gut an diesen Tag. Der Tod und die Zerstörung auf dem Schlachtfeld. Der blutige Leichnam Eures Großvaters. Die kleine Hütte, in der er sein Leben aushauchte. Euch ist doch klar, daß es nicht immer möglich ist, die Toten zu begraben, insbesondere die Toten der Feinde. Traurig, aber -«
»Hört auf!« schrie Sabrina mit wutblitzenden Augen. »Ich wünschte, ich hätte Euch an dem Tag getötet. Wer hätte gedacht, daß ausgerechnet Ihr eines Tages in den Salon von Verrick House hereinspaziert?«
Colonel Fletcher empfand keine Genugtuung bei diesem Ge-ständnis, im Gegenteil, er war etwas angewidert von sich selbst, aber es interessierte ihn, warum sie abstritt, in Schottland gewesen zu sein.
»Warum wollt Ihr nicht zugeben, daß Ihr in Schottland wart?
Das ist doch kein Verbrechen.«
Sabrina hob die Schultern. »Warum die Vergangenheit wieder aufwühlen? Wir sind zwar Engländer, aber unser Großvater hat uns aufgezogen. Wir haben ihn sehr geliebt, warum sollte ich mich also an diesen Tag erinnern wollen, Colonel?« erklärte ihm Sabrina. »Danach sind wir nach England gekommen und haben uns hier in Verrick House ein neues Leben aufgebaut. Nach unserer Ankunft in London war es wesentlich klüger und sicherer, nicht zuzugeben, daß schottisches Blut in unseren Adern fließt. Die breite Masse war den Nachbarn aus dem Norden damals nicht sehr freundlich gesonnen. Es war für uns das beste, zu vergessen, also haben wir es getan, und Ihr werdet mit verzeihen, daß ich Euch nicht mit offenen Armen und Zuneigung willkommen heiße«, sagte Sabrina verbittert. Sie stand auf, sah ihm direkt in die Augen und sagte: »Was mich betrifft, seid Ihr und Eure Männer die Mörder meines Großvaters. Ich brauche Euren Bericht über diesen Tag nicht, um mich daran zu erinnern.
Das Blut meines Großvaters befleckte meine Hände, Colonel.
Glaubt Ihr wirklich, ich könnte das vergessen?«
Sabrina schaute hinunter auf ihre Hände, sah alles noch einmal vor sich, dann wanderte ihr Blick zu den grauen Augen, die sie nur einmal zuvor gesehen hatte. »Ist er anständig beerdigt worden?« flüsterte sie.
»Ja«, erwiderte Colonel Fletcher knapp, beunruhigt von dem Ausdruck in ihrem Gesicht.
»Ich nehme an, dafür seid Ihr verantwortlich, und wenn ich ein zivilisierter Mensch wäre, würde ich Euch danken, aber ich bringe es nicht fertig. Wenn Ihr mich jetzt bitte entschuldigt«, sagte Sabrina mit erstickter Stimme und verließ, ohne noch einen Blick auf die beiden zu werfen, den Raum.
Mary saß wie versteinert da und starrte in ihre Tasse lauwar-men Tees.
»Es ist tragisch, daß manche der Narben, die wir uns im Krieg holen, in unserem Inneren und uns sichtbar sind. Man kann sie nur selten behandeln, also eitern sie und heilen nicht«, sagte Colonel Fletcher und sah in Marys verschlossenes Gesicht.
»Eure Schwester war nur ein kleines Mädchen, als sie eine Erfahrung machen mußte, die selbst hartgesottenen Soldaten wie mir ein Leben lang nachhängen. Wegen des Schmerzes, den sie damals empfand, hat sie Vorurteile gegen jeden anderen Standpunkt, besonders den eines englischen Soldaten, der auch da war.«
Mary erhob sich und wandte sich stolzerhobenen Hauptes an Colonel Fletcher. »Wenn Ihr mich bitte entschuldigen wollt, Colonel, ich muß mich jetzt um meine Familie kümmern. Ich halte es wirklich für das Klügste, wenn Sie Verrick House nicht wieder besuchen.«
Colonel Fletchers Mund wurde schmal, aber er beugte zustimmend den Kopf. »Wie Ihr wünscht, Lady Mary. Ich
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