Geliebte Widersacher 03 - Zaertlicher Winter
sagen konnte. Sie hatte ihm schließlich auch von der Sache mit Tom Paggett erzählt. Ihr Vater wusste das absolut Schlimmste über sie und liebte sie trotzdem. Sie konnte nicht begreifen, warum.
Und sie wollte ihm auch nichts von ihrer Wette mit Dr. Grantham erzählen. Er vertraute ihr, und obwohl sie selbst wusste, warum sie zugestimmt hatte – aus keinem anderen Grund, als ihn loszuwerden – war sie sich des Umstandes bewusst, dass es etwas anstößig klingen würde, wenn sie preisgab, um welchen Einsatz es ging.
Ein Kuss? Von Grantham? Die Vorstellung allein reichte, dass sie erschauerte. Nein, es war eine gute Idee, auf diese Weise dafür zu sorgen, dass Grantham nie wieder mit ihr redete. Sie würde nie wieder dieses Gefühl der Erwartung spüren, das Prickeln im Rücken, das damit einherging. Sie musste ihn nur ein paar Nachmittage ertragen, und dann wäre sie für immer von ihm befreit.
„Ja, ich gehe aus“, erklärte sie unbeholfen.
Er schaute nach unten zu ihren Halbstiefeln. „Zu einem Spaziergang. Mit einem Mann?“
Lydia verzog das Gesicht. „Nicht mit einem Mann“, murmelte sie. „Wenigstens nicht so.“
Obwohl es nichts Besonderes war, mit einem Herrn auszugehen, hätte jeder andere Vater – der nun einmal all das über Lydia wusste, was er wusste – ihre Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt, ihr nicht erlaubt, das zu tun, was alle anderen jungen Damen taten. Er hätte ihr vielleicht gesagt, dass sie nicht länger vertrauenswürdig war.
Mr. Charingford war aber keiner dieser Väter. Als Lydia ihrem Vater gebeichtet hatte, dass sie schwanger sei, hatte er sie mehrere Minuten lang an sich gedrückt, hatte kein Wort gesagt. Er hatte ihre Mutter hereingerufen, Lydia ihrer tröstenden Umarmung überlassen. Dann, nachdem er das Haus verlassen hatte, hatte sie keine Ahnung, was er gesagt oder getan hatte, aber Tom Paggett hatte zwei Tage später die Stadt verlassen. Ihr Vater redete nicht viel, aber Lydia zweifelte nie an ihm.
Eine von Lydias frühesten Erinnerungen war, wie sie auf dem Boden im Arbeitszimmer ihres Vaters gesessen und gespielt hatte. Ihr Kindermädchen war herbeigestürzt und hatte sie hochgenommen, sich dabei wortreich entschuldigt und mit Lydia geschimpft.
„Kannst du nicht sehen, dass dein Vater beschäftigt ist?“, hatte sie sie ermahnt.
Aber ihr Vater hatte nur die Achseln gezuckt. „Wenn Sie sie jedes Mal wegholen, wenn ich beschäftigt bin“, hatte er ungerührt erwidert, „bekomme ich sie gar nicht mehr zu sehen. Sie kann bleiben.“
Er war auch nicht zu beschäftigt gewesen, mit ihr nach Cornwall zu gehen, als sie schwanger war. Er hatte geholfen, ihren Zustand vor denen zu verbergen, die sie deswegen verurteilt hätten. Und am Weihnachtsmorgen, als unklar war, ob sie überleben würde, war er mit Bändern und Stechpalmenzweigen in ihr Zimmer gekommen. Er hatte nichts gesagt, er hatte nur einfach ungeschickt begonnen, die Zweige und die roten Schleifen im Zimmer zu verteilen, einfach um etwas zu tun zu haben.
Manchmal, wenn sie an ihren Vater dachte, hatte sie das Gefühl, als gebe es etwas unendlich Großes, Weites in seinem schmalen Körper, etwas, das zu groß für Worte war. Jedenfalls fühlte es sich groß für sie an.
Und daher schmückte sie sein Arbeitszimmer mit Bändern und immergrünen Zweigen, wenn es Weihnachten wurde. Das war die einzige Möglichkeit, wie sie diese zu großen Gefühle zurückgeben konnte.
„Du gehst doch nicht etwa mit einem Mann spazieren, oder?“ Sein Tonfall verriet freundlichen Argwohn. Er blickte sie scharf an.
Na gut, es war ihr Lieblingstageskleid, das sie für besondere Anlässe aufhob. Er hatte sie gestern Abend den Besatz ändern sehen, als sie die hellblauen Manschetten durch zwei Zoll weißen Leinens ersetzt hatte, die sie selbst bestickt hatte.
Lydia spürte, wie sie rot wurde. „Mir gefällt es, wenn ich gut aussehe, egal, mit wem ich mich treffe.“ Sie wusste selbst nicht genau, warum sie sich so sorgfältig angekleidet hatte. Vielleicht wollte sie Grantham einfach keine weitere Gelegenheit geben, sich über sie lustig zu machen.
„Mr. Charingford. Miss Charingford.“ Ein Hausmädchen steckte den Kopf herein, unterbrach die Unterhaltung.
Hinter ihr sah Lydia Jonas Granthams hochgewachsene Gestalt. Er trug seinen Mantel über einen Arm gelegt und hielt eine große schwarze Ledertasche in der anderen.
„Siehst du?“, bemerke Lydia zu ihrem Vater. „Kein Mann, sondern ein Arzt.“
Grantham
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