Geliebter, betrogener Mann
komme.«
Eine Stunde später saßen auf der Privatstation von Professor Kanoldt, in einem hellen, von dem langen Flur abgeteilten Warteraum mit Glaswänden, drei würdige Herren, rauchten, liefen ab und zu unruhig hin und her, standen am Fenster, tranken aus Wassergläsern Rotwein und nebelten sich mit Tabakqualm ein.
»Wie in einem gläsernen Käfig«, seufzte Dr. Wehrmann einmal. »Überhaupt ist es eine Infamie, mich hier einzusperren, statt mich in die Nähe des Kreißsaales zu lassen.«
Nach zwei Stunden des Wartens erschien endlich Professor Kanoldt selbst aus dem Kreißsaal. Dr. Wehrmann riß die Tür des gläsernen Wartezimmers auf, als er ihn über den langen Flur kommen sah.
»Was ist es?« rief er ihm entgegen. »Alles klar?«
Professor Kanoldt antwortete zunächst nichts, sondern betrat den Warteraum. Er hustete etwas und wedelte mit beiden Händen durch die Luft.
»Himmel noch mal … wie kann man hier noch atmen?« rief er. Mit einigen schnellen Schritten ging er zum Fenster und riß es auf. Ein Luftzug fegte über die alkoholschweren Köpfe der Wartenden.
»Man soll es nicht für möglich halten«, sagte Professor Kanoldt und steckte die Hände in seinen weißen Arztmantel. »Ich hab schon vieles erlebt, aber das hier ist bisher das Verrückteste. Ein besoffener Großvater, ein animierter Priester, ein schwankender Arzt – und alle drei warten auf ein Kind, das sie gar nichts angeht.«
»Mich als Großvater schon«, protestierte Ernst Ludwig.
»Und ich bin der Seelsorger«, sagte Dechant Bader streng.
»Ich kann für mich in Anspruch nehmen, gewissermaßen der vorgeburtliche Manager dieses Kindes zu sein.« Dr. Wehrmann hob erklärend den Finger. Professor Kanoldt winkte mit beiden Händen entsetzt ab.
»Das ist ja fürchterlich. Ich werde Sie zur Ernüchterung in einen anderen Raum bringen lassen.« So streng seine Worte klangen, so wenig ernst waren sie gemeint. Man bemerkte in seinen Augen jenen schalkhaften Glanz, den Männer immer haben, wenn sie von kindlicher Fröhlichkeit sind oder für diese viel Verständnis aufbringen.
»Trinken Sie lieber einen mit, Herr Professor.« Ernst Ludwig hing in seinem Sessel und wischte sich immer wieder über die Stirn. »Wie geht es denn meiner Tochter? Immer noch nichts? Das sind ja jetzt schon fünf Stunden.«
»Es geht langsam. Aber es ist alles normal, meine Herren. Ich möchte nur empfehlen, die Exzesse abzustoppen, denn ich befürchte, daß Sie nicht aufnahmefähig sind, wenn das Kind endlich da ist.«
»Vor der Geburt selbst habe ich keine Angst … Sie wissen ja, Herr Professor, wir sprachen schon darüber … Aber es muß ein gesundes Kind sein, darum geht es.«
»Das liegt in Gottes Hand«, sagte Dechant Bader.
»Jetzt fängt der schon wieder an!« schrie Dr. Wehrmann.
Professor Kanoldt hob die breiten Schultern. »Lieber Kollege … das ist das einzige, was auch ich sagen kann: Hoffen wir es. Wenn es Gottes Wille ist …«
Dr. Wehrmann setzte sich schwer in einen der Sessel und zerwühlte sich seine Löwenmähne. »Ich bin mir noch nie so armselig vorgekommen wie in diesen Stunden. Da sitzt man rum und kann nichts, gar nichts, tun. Stellen Sie sich vor, wenn es ein Kind wie Tutti wird – und ich habe es durch das Vertauschen der Pillen ermöglicht. Nicht auszudenken!«
Am Ende des Ganges kam eine Schwester aus einem Zimmer und winkte Professor Kanoldt zu. Sie hob die Hand, zeigte ins Zimmer und rannte wieder zurück.
»Es ist soweit, meine Herren.« Professor Kanoldt sah die drei Männer streng an. »Wie gesagt, so etwas wie Sie ist mir noch nie untergekommen. An diese Geburt werde ich noch lange denken.«
Mit großen Schritten eilte er zum Kreißsaal, und Dr. Wehrmann hatte große Lust, ihm nachzulaufen, um dabei zu sein, wenn Michael Pohlands Kind den ersten Schrei tat.
Ernst Ludwig trank wie ein Verdurstender, Dechant Bader stand am Fenster und hatte die Hände über dem Bauch gefaltet. Ob er betete, sah man nicht. Er stierte in den Klinikgarten wie eine steinerne Statue.
Die drei Männer wurden aus ihren Gedanken gerissen, als eine Schwester die Glastür aufriß.
»Was ist es?« brüllte Ernst Ludwig und umklammerte die Flasche.
»Telefon!«
»Wieso Telefon?« schrie Ludwig völlig entgeistert zurück.
»Telefon für Herrn Doktor Wehrmann … Es ist zum Stationstelefon auf dem Flur umgestellt …«
Dr. Wehrmann rannte der Schwester nach zu einer der Stützsäulen, an der der schwarze Apparat hing. Er nahm ab. Die
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