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Geliebter, betrogener Mann

Geliebter, betrogener Mann

Titel: Geliebter, betrogener Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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…«
    »Das hätten Sie sich vorher überlegen müssen.«
    »Vorher, Doktor. Soll ich meine Anna nicht mehr in'n Arm nehmen?«
    Dr. Wehrmann stand vom Bett auf und trat auf Petermann zu. Er drehte ihn an der Schulter um und sah in das tränennasse, verzerrte Gesicht des Mannes.
    »Wenn Ihre Frau durchkommt, reden wir weiter.«
    »Machen Sie mit mir, was Sie wollen, Doktor«, stöhnte Petermann. »Und wenn Sie mich sterilisieren müssen, ich sag zu allem ja. Sie wissen doch, daß Anna als gute Katholikin die Pille ablehnt. Der Papst hat es verboten, sagt sie immer.«
    Dr. Wehrmann sah auf Anna Petermann und dann auf die Uhr. »Wo nur der Krankenwagen bleibt …«
    Aus dem Hintergrund kam ein Quäken und dann ein helles Schreien. Die Hebamme hatte das Kind gebadet, verbunden und gewogen. Nun hing es mit dem Kopf nach unten und schrie mit blaurotem Kopf.
    »Sieben Pfund und neunundvierzig Gramm. Und gesund wie alle Petermanns«, sagte die Hebamme.
    »Das … das ist Susanne …« Petermann legte den Kopf auf Dr. Wehrmanns Schulter und weinte wieder. »Wenn nur Anna durchkommt … mein Gott … o mein Gott …«
    Mit dem Krankenwagen kamen Blutplasma und physiologische Kochsalzlösung. Dr. Wehrmann schloß die Infusion im Krankenwagen an, während der Fahrt über die spiegelglatten vereisten Straßen. Über ihm drehte sich auf dem Dach des Wagens das heulende Blaulicht. Ein paarmal schleuderte der Wagen auf dem Eis, bis er die mit Sand und Kies bestreute Chaussee erreichte und der Stadt entgegenraste.
    Wir kommen zu spät, dachte Dr. Wehrmann, wenn er auf das verfallene Gesicht Anna Petermanns starrte. Himmel, wir kommen zu spät. Sie verblutet mir unter den Händen, und ich kann nichts, gar nichts mehr tun …
    Michael Pohland war um diese Zeit in Ebenhagen und saß mit ver kniffenem Gesicht vor dem Telefon. Dr. Corbeck hatte einen Vor trag gehalten, aber es schien, als ob Pohland gar nicht zuhörte oder die Worte und Zahlen nicht verstand. Er nickte, als der Syndikus geendet hatte, verzichtete auf jede Frage oder Bemerkung und zuck te nur zusammen, als die Tür zuklappte und Dr. Corbeck etwas konsterniert gegangen war.
    Gerda war gestern verreist. Zu ihrem Vater, wie sie gesagt hatte. Sie hatte Weihnachtsgeschenke eingepackt, für Ernst Ludwig, für einige Cousinen und für das Altersheim, das sie jedes Jahr zu Weihnachten mit einer großen Spende bedachte.
    »Ich bringe Paps die Geschenke, Micha«, hatte sie gesagt. »Er könnte ja Weihnachten zu uns kommen, aber ich bin ungeheuer egoistisch. Es ist unser erstes Weihnachten. Da soll uns keiner stören.«
    Pohland fand diesen Gedanken beglückend. Bisher war Weihnachten stets ein Trubel gewesen. Seine erste Frau versammelte an den Festtagen immer eine große Gesellschaft um sich, gab Weihnachtspartys und stellte ihre Geschenke zur Schau. Es war ein Jahrmarkt der Eitelkeit und des Neids, der billigen Schmeicheleien und offenen Mißgunst, ein Fest der Rache an allen Freundinnen, die mit verkniffenen Augen vor den Nerzen und Schmuckstücken standen.
    Nach dem Tode seiner Frau war Pohland von sich aus in das Laute geflüchtet, weil die Stille in den weiten Räumen von Gut Heidfeld an seinen Nerven riß. Die Einsamkeit, die ihn umgab, machte ihn fast verrückt, und er flüchtete in das Hektische der modernen Weihnachtszeit. Er saß in einem Hotel, ließ sich am anderen Tag einladen oder fuhr – wie im letzten Jahr – nach Cortina, um dort seine Einsamkeit in Sekt zu ertränken. Das, was man eine besinnliche Weihnacht nennt, ein brennender Baum, Pfeffernüsse, geheimnisvoll umschnürte Geschenke, Lieder beim Kerzenschein … diesen Zauber der Kindheitserinnerung hatte er seit seiner Heirat nicht wieder erlebt. Nur für wenige Minuten genoß er die Stille und die tiefe Freude des Festes, wenn er bei den Petermanns gratulierte und mit ihnen vor dem Lichterbaum saß, und die Kinder sangen die alten Weihnachtslieder, begleitet vom Baß Petermanns, der sich auf sein Drei-Liter-Fäßchen Kognak freute, das ihm Pohland jede Weihnachten schenkte. Dann war er innerlich froh, nahm die Kinder auf seinen Schoß und war nicht mehr der Gutsherr, der Konzerninhaber, der Chef, sondern er war nur noch ein glücklicher Mensch, der mit den Kindern in die flackernden Kerzen schaute und genauso große Augen hatte wie sie.
    Nun sollte es anders werden. Gerda würde mit ihm vor einem Baum sitzen, und er würde nach langen Jahren fühlen können: Ich habe ein Zuhause. Ich bin nicht mehr einsam.

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