Geliebter, betrogener Mann
selbstverständlich, Liebling. Ich komme mit und fahre dann weiter nach Straßburg.«
Gerda führte Petermann hinaus zur Küche. Von einem Mitfahren mit ihrem Mann in das Elsaß war nicht mehr die Rede. Die Petermanns brauchten sie. Diese Lösung ist Micha sehr willkommen, dachte sie, als sie die Tür schloß und mit einem schnellen Blick zurück sah, wie Pohland das Glas Petermanns leertrank. Warum sagt er nicht, was er denkt oder glaubt? Ich wäre bereit, ihm zu antworten, ich würde ihm alles sagen, alles … Aber ich kann ja nicht damit anfangen, ohne Dr. Wehrmann zu verraten. Mein Gott, wenn er doch bloß fragen würde …
Auch in der Nacht, nachdem sie Petermann satt und betrunken ins Bett gebracht hatten, wo er sofort einschlief, fragte Michael Pohland nicht. Sie war zärtlich zu ihm, und er ließ sich von ihrer Liebe mitreißen, betäubt von der Schönheit und dem Glück, das er sein eigen nannte. Nur in den Pausen zwischen dem Allesvergessen, wenn sie nebeneinander lagen und gegen die Decke starrten, dachten sie beide das gleiche: Warum sagst du nichts. Jetzt wäre es Zeit, jetzt wäre es so leicht zu verzeihen … Aber keiner von ihnen sprach … jeder wartete auf den anderen … und so verrann die Nacht, und die Möglichkeit war vertan, ein bitteres Geheimnis auszulöschen.
Die Rundreise Pohlands war ein Schattenlaufen. Verloren stand er in den verschiedenen Oberholzen, wanderte durch die Straßen und über die Dorfwege und sagte sich, daß es absurd sei, hier nach einem Geheimnis Gerdas zu suchen. Immer wahrscheinlicher schien es ihm, daß Oberholzen kein Ort, sondern ein Name sein mußte.
Das änderte sich erst, als er in das Dorf Oberholzen im Allgäu kam. Es war der letzte Ort dieses Namens, den Pohland besuchen wollte. Er kam sich selbst dumm und tölpelhaft vor und sagte sich, daß es unwürdig eines Michael Pohland sei, solchen Sinnlosigkeiten nachzujagen.
Diese Ansicht wurde schlagartig vernichtet, als er in Oberholzen einfuhr und schon von weitem das Schild des Gasthauses ›Zur Sonne‹ sah. Mit scharfem Bremsen hielt er an und umklammerte das Lenkrad.
Hier ist es, sagte er sich. Jetzt paßt alles zusammen. Der Gasthof, der Name des Ortes … Er blieb im Wagen sitzen und starrte auf das Schild mit den goldenen Buchstaben. Wenn er jetzt ausstieg, das wußte er, würde er vor einer Entscheidung stehen. Es gab kein Zurück mehr – auch als er plötzlich das Gefühl hatte, es wäre vielleicht besser, umzudrehen und ohne Wissen wegzufahren.
Hinter der Gardine im Schankraum standen der Wirt und die Wirtin der ›Sonne‹. Sie sahen auf den vor dem Haus haltenden Wagen und auf den Mann, der mit starren Augen zu ihnen hinschaute. »Dös is er«, sagte der Wirt leise, als könne man ihn durch die Fenster hören. »Bleib schön stad, Rosl! Nix vergesse! I kenn koane Frau Pohland. Kapiert?«
»Bin i blöd?« schnaufte die Wirtin. »I werd's ihm schon zeige.«
Michael Pohland stieg langsam aus dem Wagen. Es war, als müsse er sich unter großen Schmerzen vorwärtsbewegen. An der Tür blieb er noch einmal stehen, drehte sich um und blickte über die tiefverschneiten Berge und die im Schneenebel liegenden Taleinschnitte. Eine Welt in Weiß und Grau, versunken und wie am Rande der Erde. Was hatte Gerda hier gesucht?
Als er in die Wirtsstube trat, stand der Wirt hinter dem Tresen und putzte die kupferne Biersäule. Die Wirtin saß in der Küche – man sah sie durch die offenstehende Tür – und knetete in einer großen Schüssel Knödelteig. Es war heiß im Raum, Pohland öffnete seinen pelzgefütterten Mantel und trat an die Theke.
»Guten Tag«, sagte er. »Ist noch ein Zimmer frei?«
»Sie können den ganzen Gasthof mieten, mein Herr.« Der Wirt lachte kräftig und umklammerte die Bierhähne. »Um diese Zeit ist's zum Kotzen. Wer kommt nach Oberholzen?«
»Ich möchte Zimmer Nummer drei, wenn's geht.«
»Aber natürlich. Aber warum drei? Hat Sie jemand empfohlen?«
»Nein.« Pohland drückte das Kinn an den Kragen. »Die Drei ist meine Glückszahl. Wenn möglich, wohne ich in allen Hotels in Nummer drei. Oder ist Nummer drei bei Ihnen ein Doppelzimmer?«
»No. Dös is an Einzelkammerl.« Der Wirt klopfte mit dem Knöchel an den Tresen. Aus der Küche kam die Wirtin mit mehlbestäubten Händen.
»Grüezi Gott!« rief sie.
»Zimmer drei, Rosl. Ich bring den Herrn schon hinauf. Habens' Gepäck?«
»Nicht viel. Im Wagen. Der Kofferraum ist offen.«
Pohland sah sich um. Eine saubere,
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