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Geliebter Boss

Geliebter Boss

Titel: Geliebter Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Hanns Roesler
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Pappenstiel. Herr Zanders beispielsweise, der in einem teuren Hotel wohnt und dem sie das Geld in einer halben Stunde bringen soll, spürt den Verlust vielleicht gar nicht. 60 000 Mark, Privatentnahme!
    Wenn sie das Geld fände und sie wüßte, es gehört jenem Zanders, dem dicken Zanders, dem alten Zanders, denn wer so viel Geld hat, kann nur dick sein, nur alt sein, sicher unsympathisch, wenn sie also genau wüßte — aber nein, auch dann nicht, sie würde das Geld auf die Polizei tragen, sie hätte sonst keine ruhige Minute mehr. Sie ist so dumm erzogen.
    »Üb immer Treu und Redlichkeit — bis an dein kühles Grab!« Was macht man mit so viel Geld, wenn man es findet, abgibt, keiner kommt, es abzuholen, und man bekommt nach einem Jahr die sechzigtausend zurück? Das wäre doch einfach nicht auszudenken! Zunächst einmal das Dach in Birkenhain reparieren, das ist das allerwichtigste, vielleicht das Haus ganz neu decken und Betten und Wäsche kaufen, damit Mutter im Sommer an die Fremden vermieten kann. Und dann dem Bruder einen Anzug kaufen und einen Wintermantel, auch einen neuen Koffer. Er hat damals den ihren mitgenommen und ihn ihr jetzt für den Urlaub zurückgeschickt, einen recht schäbigen
    Koffer. Sie wird sich von dem Geld einen neuen kaufen, einen ganz leichten, Fluggepäck, wie sie ihn in den Fenstern sieht. Sie wird damit weite Reisen machen, per Flugzeug, per Eisenbahn, per Schiff. Für 60 000 Mark kommt man dreimal um die Welt! In den Orient, nach Japan, nach Indien, nach Südafrika! Sie wird alles fotografieren, was sie sieht, in Farbe natürlich, denn einen Fotoapparat hat sie dann natürlich auch. Vielleicht wird sie sogar filmen, 60 000 Mark, so viel Geld wird nie alle! Was macht sie dann mit dem restlichen Geld? Ja, richtig, Adam müßte natürlich auch etwas bekommen, Adam und seine müde Frau Sarah. Die würden Augen machen, wenn Birke jetzt mit einem kleinen Auto bei ihnen vorführe, mit einem großen käme sie gar nicht bis zum Haus, da ist der Weg zu schmal, vor allem in der Kiesgrube hinter dem Steinbruch, aber mit einem kleinen schafft sie es, und in dem Auto hätte sie einen ganzen Schinken und viele Würste, Ölsardinen, Krabben, auch etwas zum Trinken...
    Ein kleiner Wagen ist selbstverständlich und ein paar Kleider und neue Schuhe und eine Handtasche, nein, zwei Handtaschen, und gute Strümpfe, richtige Strümpfe, keine für 98 Pfennig, wie sie sie jetzt trägt. Und dann Handschuhe und schöne Wäsche und ein gutes Parfüm und ein neues Portemonnaie, und sie wird in Zürich im »Baur au lac « wohnen und im »Wilden Mann« in Luzern die berühmten Vorspeisen essen, sie hat die Vorspeisen einmal in einer Schweizer Zeitschrift abgebildet gesehen, und seitdem träumt sie davon.
    Von Zürich wird sie über das Tessin nach Venedig fahren und dort im »Grünwald-Bauer« absteigen, direkt am Canal Grande, und abends würde sie eine Gondel nehmen, mit einem Gondoliere, sie würde sich den schönsten Gondoliere mit der schönsten Gondel aussuchen, und während sie so über die kleinen Kanäle dahinglitten, unter der Seufzerbrücke hindurch und am Palazzo Ca d’oro vorbei, müßte er für sie allein die schönsten Lieder singen, daß die anderen zu ihr herübersehen und sie beneiden. Ein richtiger Tenor müßte es sein, ein junger Caruso, ein junger Gigli, und zum Schluß würde er sie vor dem Hotel abliefern, sie wird ihm ein gutes Trinkgeld geben, ein so gutes Trinkgeld, daß er die ganze Nacht unter ihrem Fenster singen wird, in seiner Gondel auf dem Canal Grande, und am Morgen, wenn sie das Fenster öffnet, wird er sich tief verneigen, auf sein Boot deuten und zu ihr hinaufrufen: »Ihre Gondola , Signorina !« Sie wird zurücklächeln und sagen: »In una hora !« Ich glaube, so heißt es, denn zunächst einmal muß sie kräftig frühstücken.
    Sie wird in das Frühstückszimmer hinuntergehen, man wird sie zu einem Tisch am Fenster führen, direkt mit einem Blick zum Campanile hinüber, und am Nebentisch wird die Fürstin Soundso sitzen oder der Herzog von Brabant, man kennt sich, man lächelt sich zu, und der Kellner wird kommen und fragen, was man zu frühstücken wünscht: Tee, Kaffee oder Schokolade. Sie wird eine Schokolade bestellen in einem silbernen Krug, und zwei Eier, Parmaschinken und Veroneser Salami und süßes Brot aus Holland und Zwieback aus Karlsbad und Kipfel aus Wien und einen Korb mit Obst, Orangen aus Sizilien, Trauben aus Meran, Äpfel aus Bozen, Nüsse aus

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