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Geliebter Boss

Geliebter Boss

Titel: Geliebter Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Hanns Roesler
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erwägen, daß sie für den Abend noch reichen muß. Dazu in winzigen, hauchdünnen Porzellantassen eine Suppe aus dem Fleisch der Schildkröte, aus dem Speichel der Schwalben, mit dem sie ihre Nester bauen — und als Hauptgang einen goldbraunen Puter oder eine knusprige Gans, wenigstens aber eine Ente oder gebackene Hühner und als Beilage dazu dicke Spargelstangen — das hat sie doch immer in den Zeitschriften gesehen und sehnsüchtig angestarrt, das kräftige Rot des Hummers mit seinen breiten Scheren, das helle Braun der Gänseleberpastete mit den schwarzen Trüffeln in der Mitte, das Gold der Ananas, die rosafarbenen Scheiben des frisch geschnittenen geräucherten Lachses, die dicken Stangen des Spargels mit seinen hellen Köpfen, von goldener Butter übergossen — das alles ging durch ihren Kopf, als sie neben Zanders zum Essen in sein Zimmer hinüberging; erwartungsvoll, aufgeregt, bereit, die Früchte der Hochstapelei kennenzulernen, an ihnen teilzunehmen, nachdem sie schon einmal so tief in das Verderben verstrickt war.
    Aber dann hatte nur eine Suppe mit Nudeln auf dem Tisch gestanden, und der Kellner hatte ihnen gekochtes Rindfleisch auf den Teller gelegt, Tafelspitz, wie es Zanders nannte und hinzugefügt, berühmt für die Wiener Küche, hier im Imperial und beim Sacher von der größten Vollkommenheit — aber es war eben doch nur gekochtes Rindfleisch gewesen, sie schmeckte keinen Unterschied heraus zwischen diesem Rindfleisch und jenem von ihrem Mittagstischabonnement daheim. Wenn sie hier nichts Besseres zu kochen verstehen und aufzutischen vermögen für Gäste, die 60 000 Mark unten im Safe liegen haben, kann ihr das ganze große Leben gestohlen bleiben.
    Zugegeben, sie hat Hunger, gewaltigen Hunger, das gekochte Rindfleisch schmeckt ihr vorzüglich, sie langt zweimal zu, aber es bleibt eben doch nur gekochtes Fleisch, nicht einmal gebratenes oder geschmortes. Wenn sie es wenigstens zu einem Sauerbraten verarbeitet hätten! Aber nein, nichts als gekocht und dazu Apfelmus, das billigste Kompott, wie man es daheim in jedem Supermarkt für wenig Geld, die Dose für 79 Pfennig, kaufen kann. Hier hatte man es noch damit verdorben, daß sie Meerrettich oder, wie sie es nannten, Kren dazwischengerieben hatten; Apfelkren, sagte der Kellner, die Lieblingsspeise des alten Kaisers, wie er hinzufügte. Sonderbare Dinge essen die Wiener!
    Wenn es wenigstens kalifornische Pfirsiche dazu gegeben hätte oder Ananasscheiben, die sind heute auch nicht teuer, die hatte sie sich selbst manchmal daheim am Sonntag geleistet; und wenn sie zum Schwimmen an den Waldsee gegangen war und bei den alten Schriftstellersleuten zum Mittagessen eingeladen war, da gab es jeden Sonntag Ananas, weil der Herr, der ihr beim Baden zugeschaut hatte, wußte, wie gern sie dieses Kompott aß.
    Zum Nachtisch gab es Palatschinken. Sie wartete gespannt, was dies wohl sein könnte. Aber es waren nur gefüllte Pfannkuchen mit Marillenmarmelade. Sie hatte auch schon etwas Besseres gegessen, wobei man nicht so mit dem Teig gespart hatte, große und kräftige Pfannkuchen, nicht so durchsichtige dünne Dinger. Aber offenbar sind auch hier die Wiener nicht verwöhnt.
    Der Kellner hatte abgeräumt. Er brachte noch einen türkischen Kaffee, stellte eine Flasche Marillenschnaps und eine Flasche Grand Marnier à discretion auf den Tisch und verschwand mit einer höflichen Verbeugung. Als die Tür hinter ihm kaum hörbar ins Schloß gefallen war, sagte Zanders ohne jede Überleitung:
    »Jetzt beginnt für Sie das harte Leben, Birke. Ich habe Sie beim Friseur zum Umfärben angemeldet, und dann gehen wir zu einer berühmten Modenschau. Vorher aber ziehen Sie sich um.«
    »Ich habe doch nur dieses eine Kleid.«
    Zanders sagte:
    »In Ihrem Zimmer liegen ein Kleid und ein Mantel. Glauben Sie, man führt Ihnen neue Modelle vor, wenn Sie nicht bereits gut angezogen hinkommen?«

    »Färben, Waschen, Legen, Maniküre — 270 Schilling — verbindlichen Dank, Frau Baronin!«
    Frau Molltaschel sitzt an der Kasse ihres Damensalons.
    Zwanzig Kabinen im Kreis, rosafarbene Waschbecken und silberne Hähne, mit schwarzem Leder bezogene Sessel, große
    Spiegel an den Wänden jeder Kabine. Für diese Spiegel ist der Salon Molltaschel berühmt. Es sind Trickspiegel. Sie spiegeln Schönheit und Jugend wider, auch dort, wo letztere schon im Schwinden sind. Das lieben die Damen, die älteren vor allem. Junge Mädchen verirren sich selten hierher. Dafür sind die Preise

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